In Marburg: Zelluläres Leben dank Mitosomen statt Mitochondrien

Der Parasit „Mikrosporidium“ ist so sehr auf das Wesentliche reduziert, dass er sogar den Atem anhält. Aber er schafft es noch, Werkteile zusammenzuschmieden, die er unbedingt für die Basisprozesse des Lebens braucht.
So lässt sich umschreiben, was Zellforscher um Prof. Dr. Roland Lill von der Philipps-Universität herausgefunden haben, als sie Zellbestandteile der Parasiten untersuchten, die ihre Funktion größtenteils verloren haben. Die Wissenschaftler aus Marburg, Mülheim und Großbritannien berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Communications“.
Mikrosporidien sind einzellige Pilze, die als Parasiten in anderen Zellen leben. Sie befallen zum Beispiel Katzen, aber auch immungeschwächte Patienten mit AIDS. Die Einzeller sind in ihrer funktionellen Ausstattung stark reduziert, weil sie viele wichtige Moleküle, die sie zum Leben brauchen, von der Wirtszelle beziehen.
Unter anderem besitzen Mikrosporidien keine richtigen Mitochondrien. Das sind Zellbestandteile, die normalerweise für die Zellatmung und die Herstellung des molekularen Energieträgers „ATP“ zuständig sind.
Die Mitochondrien-Überbleibsel der Parasiten – die „Mitosomen“ – erfüllen diese Funktion nicht mehr, da sie ATP vom Wirt aufnehmen. Wozu braucht der Einzeller sie dann?
„Wir haben in unserer Arbeit direkt nachgewiesen, dass der Zusammenbau von Eisen-Schwefel-Verbindungen als der wesentliche Zweck von Mitosomen zu betrachten ist“, erklärte Seniorautor Lill. Er und sein Team fanden in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Dr. Martin Embley aus Newcastle in den Mitosomen eine Reihe von Proteinen, die auch bei den klassischen Mitochondrien dem Zusammenbau von Eisen-Schwefel-Verbindungen dienen.
Diese Moleküle finden sich in vielen Enzymen, die an lebenswichtigen Vorgängen beteiligt sind wie zum Beispiel an der Replikation und der Reparatur des Erbmoleküls DNA. Bisher war indes nicht nachgewiesen worden, ob die Mikrosporidien-Proteine dieselbe Funktion wie ihre Mitochondrien-Pendants erfüllen.
Um das herauszufinden, gewannen die Wissenschaftler die Proteine in Reinform, mischten sie im Reagenzglas zusammen und fügten elementares Eisen, eine Schwefelquelle sowie einen Energiespender hinzu. „Wir beobachteten eine schnelle und effiziente Bildung von Eisen-Schwefel-Clustern“, berichtete Mitverfasser Sven-Andreas Freibert, der in der Arbeitsgruppe von Lill seine Doktorarbeit anfertigte.
„Unseren Befunden zufolge hat das Mitosom die Funktion, die Reifung essentieller Eisen-Schwefel-Proteine im Zellkern und im Cytosol zu unterstützen“, fasste Lill zusammen. Mitosomen enthalten den vollständigen Satz von Enzymen, der für die Biosynthese von Eisen-Schwefel-Clustern benötigt wird.
Er entspricht der Enzym-Ausstattung echter Hefe-Mitochondrien. „Offenbar besteht ein starker Selektionsdruck gegen die Veränderung oder gar den Verlust dieses Stoffwechselweges“, folgern die Autoren.
Lill lehrt Zellbiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Er ist Träger des Leibniz-Preises und erhielt Anfang 2016 eine Förderung durch das Reinhart-Koselleck-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Neben der DFG förderten unter anderem das „LOEWE“-Programm des Landes Hessen, die Max-Planck-Gesellschaft sowie die „Von Behring-Röntgen-Stiftung“ die vorliegende Arbeit. * pm: Philipps-Universität Marburg

Kommentare sind abgeschaltet.