Lähmend langwierig: „Der Kirschgarten“ feierte Premiere im TaSch

Der Kirschgarten wird verkauft. In gelähmtem Entsetzen über den Verlust verharrt seine Besitzerin in Untätigkeit.

In einer Inszenierung von Schirin Khodadadian feierte „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow am Sonntag (4. Mai) Premiere im Theater am Schwanhof (TaSch). Mitgebracht hatte die Gastregisseurin für die Rolle der Ljubow Andrejewna Ranjewskaja als Hauptdarstellerin die überzeugende Bettina Schmidt. Zum Khodadadians eingeschworenem Team gehörten auch die Bühnenbildnerin Carolin Mittler, die Kostümbildnerin Charlotte Sonja Willi und Katrin Vellrath für die Musik.
Dem vorab reichlich verteilten Lob wurde vor allem Khodadadian selbst nicht ganz gerecht. In der deutschen Provinz zwischen Baden-Baden und Bonn hat der Provinzrezensent bereits vor Jahren gelungenere Inszenierungen des Kirschgartens mit mehr Tiefgang gesehen. Dabei ist das 116 Jahre alte Stück über die veränderten Zeitläufte und die Hinwendung zum Vertrauten gerade auch heute immer noch brandaktuell.
Doch leider hat Khodadadian eher auf billige Gags gesetzt als auf Tiefgang. Wenn Frauen ihren Rock runterziehen und Darsteller beiderlei Geschlechts in Unterwäsche auf der Bühne stehen, bringt das die Geschichte von der Zwangsversteigerung des Kirschgartens nicht voran. Dabei böte sie viele aktuelle Anknüpfungspunkte von der Abholzung des Hambacher Forsts über den Klimawandel bis hin zur brandaktuellen Debatte über die Thesen des Juso-Vorsitzenden Kevin Künert zu Privatbesitz an Wohnraum und zur – auch in Marburg stark voranschreitenden – Gentrifizierung.
Mit fast zweieinhalb Stunden Dauer zog sich die inszenierung auch zu sehr in die Länge. Gerade zu Beginn und am Schluss verzögerten Khodadadians – mitunter amüsante – Regieeinfälle das Voranschreiten der Handlung.
Das Landgut in der russischen Provinz ist hoch verschuldet. Wenn nichts geschieht, droht die Zwangsräumung.
Der neureiche Kaufmann Alexejewitsch Lopachin möchte das Grundstück parzellieren und darauf Ferienhäuser errichten. Dafür muss der Kirschgarten aber abgeholzt werden. Das würde jedoch die Kindheitserinnerungen der Besitzerin nachhaltig zerstören.
So verharrt sie in phlegmatischer Hoffnung auf fremde Hilfe. Allerdings erweist sich diese Hoffnung als trügerisch. In immer dramatischerer Untätigkeit zieht sich die Geschichte hin bis zur – schließlich unausweichlichen – Zwangsversteigerung des Guts.
Nach dem minutenlangen Vorspann zeigte Khodadadian zwischendurch dann, dass sie ihr Handwerk durchaus beherrscht. Vor allem aber den durchweg hervorragenden Darstellern war es zu danken, dass die Aufführung am Ende doch noch ein gewisses Maß an Tiefgang erreichte. Neben der Hauptrolle glänzten vor Allem Sven Brormann als Lopachin und Valentina Schüler als Anja.
Am Ende gab es langanhaltenden Applaus des Publikums. Vor Allem die Darstellenden hatten ihn absolut verdient. Auch dem Autor Tschechow gebührt nachträglich ein riesiges Lob für diesen herausragenden Klassiker der Theaterliteratur.

* Franz-Josef Hanke

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