Beeinflussung: Forscher ermitteln, wie das Spiegelbild tötet

Eine gespiegelte Aminosäure hemmt gezielt das Wachstum bestimmter Krebszellen. Marburger Forschende klären diese Vorgänge auf.
In der Natur kommen häufig Substanzen vor, die sich wie Bild zu Spiegelbild verhalten, wie zum Beispiel die bekannte links- und rechtsdrehende Milchsäure. Forschungsteams der Philipps-Universität Marburg und der Universität Genf haben nun herausgefunden, wie man mit einer Spiegelbild-Substanz gezielt das Wachstum bestimmter Krebszellen schwächen kann. Daei handelt es sich um die Aminosäure „D-Cystein“, die ein genaues Spiegelbild der natürlichen, Schwefel-haltigen Aminosäure „L-Cystein“ ist. Darüber berichten die Forschenden unter der Leitung von Prof. Roland Lill vom Institut für Zytobiologie der Philipps-Universität Marburg
im Fachmagazin „Nature Metabolism“ (DOI).
Im Gegensatz zu L-Cystein kann das Spiegelbild D-Cystein jedoch nicht zur Synthese von Eiweißmolekülen (Proteinen) in der biologischen Zelle verwendet werden. Die Forscherteams haben nun die genauen Mechanismen herausgearbeitet, wie das D-Cystein das Wachstum von Tumorzellen hemmt. Zunächst beobachtete die Genfer Gruppe von Prof. Jean-Claude Martinou, dass nur die Tumorzellen, in denen ein schon bekannter Cysteintransporter verstärkt in der Zellmembran vorhanden war, durch D-Cystein im Wachstum gehemmt wurden. In den meisten der getesteten Tumorzellen war das tatsächlich der Fall, da dieser Transporter durch die Aufnahme von L-Cystein den Tumorzellen eigentlich Wachstumsvorteile verschafft.
Warum das D-Cystein nach Aufnahme in die Zelle toxisch wirkt, war die Aufgabe des Marburger Labors um Lill, der sich schon lange mit dem Prozess der biologischen Herstellung von sogenannten „Eisen-Schwefel Proteinen“ beschäftigt. Das Labor fand, dass D-Cystein ein wichtiges Enzym blockiert, das normalerweise den Schwefel des L-Cysteins in Eisen-Schwefel Proteine einbaut, damit sie in der Zelle arbeiten können. Da viele Eisen-Schwefel Proteine lebenswichtige Funktionen ausüben wie zum Beispiel die DNA-Synthese, kann eine Zelle ohne diese Eisen-Schwefel Proteine nicht richtig arbeiten und geht deshalb zugrunde.
Die Forscher konnten im Detail zeigen, wie das D-Cystein das Schwefel-freisetzende Enzym blockiert. Vereinfacht dargestellt übergibt das natürliche L-Cystein seinen Schwefel mit der „linken Hand“ an das Enzym ab. Beim Spiegelbild D-Cystein ist der Schwefel allerdings in der „rechten Hand“ und damit zu weit entfernt von der Empfängerposition im Enzym. Die Übertragung des Schwefels ist damit blockiert, und in der Folge können dann auch keine Eisen-Schwefel-Proteine entstehen.
„Die Untersuchungen könnten Relevanz für die Tumortherapie bekommen“, kommentierte Lill. Erste Versuche an Mäusen im Genfer Labor haben gezeigt, dass D-Cystein das Wachstum von Tumoren auch am lebenden Tier signifikant hemmen kann. Jetzt wollen die Forscher testen, ob und wie die Substanz bei Krebserkrankungen eingesetzt werden kann.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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