Marburg und Moshi blicken auf die Kolonialzeit. Der „Ruf nach Wiedergutmachung“ ist Thema einer Ausstellung im Rathaus.
„MAREJESHO – Ruf nach Wiedergutmachung seitens der Völker des Kilimandscharo und des Meru“ lautet der Titel einer Ausstellung, die bis Sonntag (6. Juli) im Marburger Rathaus zu sehen ist. Die Ausstellung thematisiert die deutsche Kolonialherrschaft in Tansania. Der Eintritt ist frei.
„Die MAREJESHO-Ausstellung thematisiert die Verbrechen der Kolonialherrschaft in Tansania“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zur Eröffnung der Ausstellung im Marburger Rathaus. „Dabei geht es nicht um Schuld oder Schuldzuweisung, sondern um Erinnerung und Auseinandersetzung. Denn wir wissen um die Gewalt, die auch von mittelhessischen Städten ausging. Die verursachte Gewalt und die Verbrechen der Kolonialzeit wirken bis heute nach. Kritischer Dialog statt Vergessen – dazu lädt die Ausstellung ein. Denn, wenn wir erinnern, handeln wir für die Zukunft. Unsere Erinnerungen helfen uns, die Zukunft zu gestalten.“
Die Ausstellung „MAREJESHO – Ruf nach Wiedergutmachung seitens der Völker des Kilimandscharo und des Meru“ – oder auf Englisch „The call for restitution from the peoples of Kilimanjaro and Meru“ – ist für die städtepartnerschaftliche Verbindung zwischen Marburg und Moshi von großer Bedeutung. Moshi ist seit Oktober 2023 die siebte Partnerstadt Marburgs. Die Stadt liegt im Nordosten von Tansania am Südhang des Kilimandscharo, direkt an der Grenze zu Kenia.
Sie hat 220.000 Einwohner, ist Universitätsstadt und die Hauptstadt der Region „Kilimandscharo“ und des Distriktes Moshi. Die von der ehemaligen deutschen Kolonialherrschaft in Tansania verursachte Gewalt und die Verbrechen wirken bis heute nach. Die „MAREJESHO“-Ausstellung soll einen gemeinschaftlichen Prozess des beidseitigen Verständnisses und der Aufarbeitung der Vergangenheit und ihrer Folgen anstoßen.
Denn die deutsche Kolonialherrschaft in Tansania war sehr gewaltvoll. Die Kolonialherren ließen Anführer der lokalen Gruppen öffentlich erhängen. Sie schickten Körperteile der Anführer und traditionell bedeutungsvolle Wertgegenstände nach Deutschland. Dort lagern sie bis heute in den Depots deutscher Museen.
Seit mehr als 50 Jahren fordern die Angehörigen der Ermordeten die Rückkehr ihrer verschleppten Vorfahren. 2022 reiste die mobile Recherche-Ausstellung „Marejesho“ – das bedeutet „Rückkehr“ oder „Rückgabe“ auf Swahili – in sechs Dörfer am Kilimanjaro und Meru. Sie sollte an das Geschehene erinnern und die historische Chance der Aufarbeitung und Wiedergutmachung durch deutsche Museen an die Menschen in Tansania anmahnen.
Daraus entstand die „MAREJESHO“-Ausstellung. Die Fragen und Erwartungen der Gemeinschaften am Kilimanjaro und Meru stehen im Mittelpunkt. Die Ausstellung thematisiert die Notwendigkeit von Rückgabe und Rückführung sensibler Objekte. Ebenfalls soll sie den Reichtum mündlicher Überlieferungen und die Komplexität (post-)kolonialer Beziehungen – damals wie heute – aufzeigen.
Prof. Dr. Harald Renz vom Freundeskreis Marburg-Moshi holte die Ausstellung „MAREJESHO“ nach Marburg und erzählte, wie er durch die Klinikpartnerschaft zwischen Marburg und Moshi erstmals von den Verbrechen der Deutschen während der Kolonialzeit gehört hatte. Danach sei er mit den Mitarbeitenden der Klinik in Moshi in Kontakt getreten und habe von den menschlichen Überresten erfahren, die damals nach Deutschland entführt worden waren. „Wunden heilen heißt Wunden schließen, Wunden versorgen und die Entzündung, die da ist, zur Ruhe bringen“, betonte Renz.
Die Frage nach dem ethischen Umgang mit menschlichen Überresten spielt in Marburg eine besondere Rolle. So beschäftigen sich Beteiligte aus dem universitären Verbundprojekt „Agency und Ethik – Sensible Objekte in Hochschulsammlungen“ zusammen mit vier deutschen Kooperationsmuseen mit eben diesem Thema. Diese postkolonialen und ethischen Fragen werden auch für das Museums- und Sammlungskonzept für das Landgrafenschloss in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Die drei Kurator*innen Mnyaka Sururu Mboro, Konradin Kunze und Sarita Lydia Mamseri haben die Ausstellung und den Prozess dahinter bei einem Rundgang vorgestellt. Mboro zeigte ein Ritual aus seiner Heimat, das anlässlich von Beerdigungen stattfindet. Dabei wird Flüssigkeit in eine Pflanze gegossen. Diese Geste führte er symbolisch vor den Besucher*innen aus. Zudem berichtete Mboro, wie seine Großmutter ihm von den Verbrechen der Deutschen erzählte und ihn gebeten hatte, sich dafür einzusetzen, dass die sterblichen Überreste zurück in die Heimat gebracht werden.
Konradin Kunze beschrieb, wie die Ausstellung dank Künstler*innen, Filmemachende und Wissenschaftler*innen zu einer multimedialen Ausstellung geworden ist, die mit Fotografien, Kunstobjekten und Videoinstallationen arbeitet. Dabei sei es nicht nur gelungen, gestohlene Kulturgüter wiederzufinden, sondern auch, mittels DNA-Tests menschliche Überreste zu identifizieren und ihren Familien zurückzubringen.
„Marejesho“ ist ein Projekt von Flinn Works e.V., Berlin Postkolonial und Old Moshi Cultural Tourism Enterprise gefördert im Fonds TURN2 der Kulturstiftung des Bundes. Die Ausstellung im Marburger Rathaus kam auf Einladung von Prof. Dr. Harald Renz vom Freundeskreis Marburg-Moshi zustande. Sie wird in Kooperation mit agent21 Zukunftswerkstatt und der Universitätsstadt Marburg durchgeführt. In Marburg wird ihre Präsentation von der Universitätsstadt Marburg, aus Sondermitteln des Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, der Sparkasse Marburg-Biedenkopf und der Sparkassen-Kulturstiftung unterstützt.
Zur „MAREJESHO“-Ausstellung können Themenführungen und für Schulen sowie außerschulische Bildungszusammenhänge geeignete Dialog- und Fortbildungsformate gebucht werden. Die Formate können jeweils mittwochs von 10 bis 12 Uhr stattfinden und nach Absprache auch während der täglichen Öffnungszeiten des Rathauses von Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und Freitag von 9 bis 12:30 Uhr. Interessiert wenden sich an Thomas Gebauer unter thomas.a.gebauer@gmail.com.
Zur thematischen Vertiefung und schulischen Begleitung der MAREJESHO-Ausstellung wird zudem ein Schreib- und Kunstprojekt organisiert, dessen Ergebnisse am 25. Oktober auf der 3. agent21 Zukunftskonferenz in der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien präsentiert werden. Mehr Informationen zur Städtepartnerschaft mit Moshi findet sich auf der Homepage der Stadt Marburg unter www.marburg.de/moshi.
* pm: Stadt Marburg