„Biodeutsch“ ist Unwort des Jahres 2024. Das hat die Jury am Montag (13. Januar) in Marburg bekanntgegeben.
Die Jury aus Sprachwissenschaftlern hat „biodeutsch“ zum Unwort des Jahres 2024 gewählt. Insgesamt waren bei der Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Constanze Spieß aus Marburg mehr als 3.100 Vorschläge eingegangen. Spieß ist Sprecherin der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ und Professorin für Pragmalinguistik am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität.
Im Vorjahr hatte die Jury „Remigration“ zum Unwort des Jahres gekürt. 2024 standen auch Ausdrücke wie „kriegstüchtig werden“ und „Menschenmaterial“ sowie „illegale Migration“ zur Wahl. Viele der Wörter spiegelten den Verfall der Diskussionskultur in Deutschland wider, meinte die Jury-Vorsitzende.
„Biodeutsch“ setzt sich aus dem Wortbildungselement „bio“ und dem Eigenschaftswort „deutsch“ zusammen, wobei „bio“ eine Abkürzung für „biologisch“ darstellt. Mit dem Wort „biodeutsch“ wird eine rassistische, biologistische Form von Nationalität konstruiert. Ursprünglich ironisch als satirischer Ausdruck verwendet, der mit dem Bio-Siegel als Güte-Siegel für ökologischen Anbau spielte, ist für „biodeutsch“ seit mehreren Jahren eine sehr gedankenlose und unreflektierte, nicht-satirische – also wörtlich gemeinte – Verwendung festzustellen.
Dabei wird „Deutschsein“ naturbezogen begründet, um eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiographie vorzunehmen. „Biodeutsch“ steht zusammen mit den zugehörigen Substantiven „Biodeutsche“ und „Biodeutscher“ in einer Reihe mit weiteren Wörtern wie „Passdeutsche“ oder „echte Deutsche“, die dazu dienen, Menschengruppen, die vor dem Gesetz gleich sind, ungleiche Eigenschaften zuzuschreiben und sie somit hierarchisch zu klassifizieren. Die-se mit dem Gebrauch von „biodeutsch“ einhergehende Unterteilung in angeblich „echte“ Deutsche und in Deutsche zweiter Klasse ist eine Form von Alltagsrassismus.
Die Jury kritisiert nicht den ironisch-satirischen, sondern den diskriminierenden Wortgebrauch, weil er gegen die Idee von demokratischer Gleichheit und Inklusion verstößt und eine Privilegierung der imaginären Gemeinschaft der „Biodeutschen“ gegenüber Gruppen darstellt, die aus dem rassistischen Konstrukt der vermeintlichen „Biodeutschen“ ausgeschlossen werden. Durch die nicht-ironische Verwendung des Wortes wird ein biologischer Zusammenhang von Nationalität und „Deutschsein“ imaginiert, den es nicht gibt.
Außerdem kritisiert die Jury als Unwort auf Platz 2 im Jahr 2024 „Heizungsverbot“: Der Ausdruck „Heizungsverbot“ stellt eine irreführende Bezeichnung dar, die im Zusammenhang mit dem – ab 1. Januar 2024 geltenden – reformierten Gebäudeenergiegesetz verwendet wurde, um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren. Der Ausdruck ist irreführend, weil durch das Gebäudeenergiegesetz weder das Heizen noch Heizungen verboten werden. Vielmehr wird der Neueinbau von Heizungssystemen, die fossile Brennstoffe verwenden, untersagt und es werden stattdessen alternative Heizungssysteme gefordert, die umweltschonendere – zu mindestens 65 Prozent erneuerbare – Energien verwerten.
Auch 2024 hat die Jury wieder auf die – 2013 eingeführte – Kategorie des persönlichen Unworts der Gäste zurück.
Das persönliche Unwort der diesjährigen Gäste Saba-Nur Cheema und Meron Mendel ist „importierter Antisemitismus“: Der Ausdruck „importierter Antisemitismus“ suggeriert, dass Judenhass insbesondere mit dem Zuzug von Migrantinnen und Migranten (aus arabischen Ländern) zu einem Problem geworden sei. Vor allem in rechten Kreisen wird der Begriff verwendet, um Musliminnen und Muslime und Menschen mit Migrationsbiographie auszugrenzen und vom eigenen Antisemitismus abzulenken. Zudem werden damit Musliminnen und Muslime, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland sozialisiert wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, als „importiert“ und damit als „nicht-deutsch“ und nicht zugehörig zur Gesell-schaft dargestellt.
Für das Jahr 2024 erhielt die Jury insgesamt 3.172 Einsendungen. Dabei wurden 655 verschiedene Ausdrücke vor-geschlagen, von denen rund 80 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.
Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus den vier Sprachwissenschaftler*innen Dr. Kristin Kuck von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Prof. Dr. Martin Reisigl von der Universität Wien, Prof. Dr. David Römer von der Universität Kassel, der Jury-Sprecherin Prof. Dr. Constanze Spieß von der Phipps-Universität Marburg und der Journalistin Katharina Kütemeyer. Als jährlich wechselnde Mitglieder waren in diesem Jahr
die Politologin und Publizistin Saba-Nur Cheema sowie der Publizist und Historiker Meron Mendel beteiligt.
* pm: Jury „Unwort des Jahres“, Marburg