Der oberste Verfassungsschützer Hessens war am Donnerstag (28. November) zu Gast im Landratsamt. Behördenchef Bernd Neumann sieht große Herausforderungen für den hessischen Verfassungsschutz.
Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich, sondern müssen stetig beschützt und bewahrt werden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund steigender Bedrohungen von Innen und Außen. Das machte der Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, bei seinem Vortrag im Marburger Landratsamt deutlich.
„Die Aufgaben wachsen für den Verfassungsschutz“, betonte Bernd Neumann als Hessens oberster Verfassungsschützer. „Ich bin nicht hier, um Ihnen Angst zu machen. Sondern um zu sensibilisieren, damit Sie Extremistinnen und Extremisten noch besser erkennen“, sagte Neumann zu den Gästen. Denn die Gefahr durch extremistische Aktivitäten nehme derzeit weiter zu.
Insbesondere die Spionageabwehr im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei derzeit ein großes Thema. „Das spüren wir auch in Hessen“, machte Neumann deutlich. Als Beispiele nannte er Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Zudem bestehe Gefahr durch Sabotageakte auf kritische Infrastruktur wie beispielsweise die Energieversorgung.
Aber nicht nur auf die Gefahr aus Russland ging der Behördenchef ein. Auch mögliche Bedrohungen aus China beschäftigten den Verfassungsschutz. Neben den Bedrohungen durch Agenten andere Länder werde das demokratische System aber auch von inneren Kräften bedroht.
So gehe auch vom Islamismus weiter große Gefahr aus. Als aktuelle Beispiele dafür nannte Neumann die Gewalttaten in Mannheim und Solingen. Auch in der linksextremistischen Szene sei eine gestiegene Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber politischen Gegnern festzustellen. Nicht immer bestehe die Bedrohung durch die unterschiedlichen Strömungen aus konkreten beziehungsweise erfolgreichen Gewalttaten, vielmehr sei der Verfassungsschutz das „Frühwarnsystem der deutschen Sicherheitsarchitektur“.
Die größte Gefahr gehe derzeit vom Rechtsextremismus aus, betonte Neumann. Neben einem sehr hohen Gewaltpotential gebe es dort häufig Umsturzfantasien, aber auch Verbindungen zu sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“. Insbesondere in den „sozialen Medien“ seien rechtsextreme Gruppen und Personen zudem immer stärker präsent.
Die Verfassungsschutz-Mitarbeiterin Lea Plavcic ging in ihrem Redebeitrag dann genauer auf die Gefahr von rechtsextremistischen Inhalten in „sozialen Medien“ ein und wie sie verbreitet werden. „Rechtsextremisten sind Medienprofis“, warnte Plavcic. Das Vorgehen bei der Verbreitung von Inhalten erfolge häufig professionell und in genauer Kenntnis der Anforderungen der jeweiligen Plattform, damit sich Inhalte weit verbreiten.
Als enorm wichtige Plattform für rechtsextreme Agitation nannte Plavcic eine beliebte App für junge Menschen aus China, die auf Kurzvideos setze. Häufig werde mit vermeintlich harmlosen und „normalen“ Inhalten zunächst Vertrauen aufgebaut. Erst später offenbaren sich dann die rechtsextremen Inhalte und Ansichten.
Häufig werde versucht, durch Videos mit „Unterhaltungswert“ ein positives Lebensgefühl und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu vermitteln, machte Plavcic deutlich. Nicht immer seien die Inhalte strafbar, was das Entfernen der Videos durch die Betreiber zusätzlich erschwere. Teilweise fände aber auch kaum eine Moderation der Inhalte statt. Gehen Beiträge erst einmal viral und erreichen eine sehr hohe Reichweite, dann kämen auch Personen mit den extremistischen Inhalten in Kontakt, die nicht explizit danach suchen.
Unterschätzt werden dürfe auch nicht der Einfluss, den „soziale Medien“ mittlerweile auf die Lebensrealität gerade von jungen Menschen haben: „Insbesondere für die Generation Z sind Dinge im Netz so real wie in der analogen Welt“, stellte die Verfassungsschützerin fest. Das zunehmende Bedürfnis nach mundgerechten und einfachen Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen sei eine zusätzliche Herausforderung.
„Menschen sind in der Regel nicht in den sozialen Medien unterwegs, um kritisch nachzudenken“, sagte Plavcic. Sie machte aber auch deutlich: „Niemand radikalisiert sich nur wegen social media; es stehen immer noch weitere Bedürfnisse dahinter.“
Abgerundet wurde der Abend durch ein Gespräch zwischen Landrat Jens Womelsdorf und Verfassungsschutzpräsident Neumann. Moderiert wurde es von Ralf Laumer. Er ist der Leiter des Landratsbüros.
Womelsdorf und Neumann sprachen unter anderem über die Frage, welche Rolle die Zivilgesellschaft einnehmen kann, um extremistischen Strömen entgegenzutreten. Wichtig sei dafür, die Demokratie weiter zu stärken, betonte der Landrat. Dazu leiste auch die Kreisverwaltung einen Beitrag: Transparent sein, erklären, was und warum die Verwaltung tut, sowie Bürgerbeteiligung seien wichtige Bausteine.
Bezogen auf den Verfassungsschutz sagte Neumann: „Wir brauchen in der Gesellschaft einen breiten Schulterschluss, um Extremisten entgegenzutreten.“ Dafür müssten die Menschen aber dahingehend sensibilisiert sein, dass sie Extremisten auch möglichst gut erkennen.
Genau das sei Aufgabe des Verfassungsschutzes; „und dafür müssen wir zukünftig noch mehr tun“, meinte Neumann. Veranstaltungen wie die des Kreises seien genau der richtige Weg, um das voranzutreiben. „Deshalb vielen Dank für die Einladung!“
* pm: Landkreis Marburg-Biedenkopf