Angeklagt: Gerichtsprozess gegen Marburger Klimaaktivisten in Gießen 

Fünf Mitglieder der „Letzten Generation“ standen am Dienstag (29. Oktober) vor dem Amtsgericht Gießen. Ihnen wurde vorgeworfen, rechtswidrig Menschen mit Gewalt zu einer Handlung genötigt zu haben.

Die Angeklagten stammen alle aus Marburg. Sie sind zwischen 48 und 65 Jahre alt. Sie hatten sich an zwei Protestaktionen am 27. März und 12. Juni 2023 beteiligt. Diese fanden während des morgendlichen Berufsverkehrs in der Nähe des Gießener Rings statt.

Die Aktionen bestanden aus Sitzblockaden auf der Autobahnzufahrt zum Gießener Ring. Dabei kam der Verkehr zum Stillstand. Zwei Teilnehmende klebten jeweils eine Hand auf die Fahrbahn und hielten Banner hoch, um ihre Zugehörigkeit zur „Letzten Generation“ zu zeigen. Die Polizei musste die Aktivisten entfernen und das Klebematerial lösen. Die Blockaden führten zu erheblichen Staus. Die Straße konnte erst nach über einer Stunde wieder freigegeben werden.

Vor Gericht erklärten die Angeklagten den Protest für notwendig und legitim. Sie bestritten, „Menschen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung oder Unterlassung genötigt“ zu haben. Dabei verwiesen sie auf Absatz 2 des Paragraphen 240 im Strafgesetzbuch (StGB). Er stufe nur verwerfliche Handlungen als strafbar ein. Sie sahen ihren Protest jedoch als letzten Ausweg, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen und kommende Generationen zu schützen. Zudem betonten sie ihre demokratische Verantwortung, Missstände aufzuzeigen und zu handeln.

Im Verfahren waren die Fakten unstrittig; die zentrale Frage betraf allein die rechtliche Bewertung der Aktionen. Dabei standen drei Aspekte im Fokus. Erstens ging es darum, ob die Blockade als Gewalt im strafrechtlichen Sinne zu werten ist. Zweitens wurde geprüft, ob das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hier anwendbar ist. Drittens sollte geklärt werden, ob die Verkehrsbehinderung im Verhältnis zum Ziel als verwerflich und damit strafbar anzusehen ist.

Das Gericht stellte das Verfahren gegen eine der Angeklagten ein. Ein weiterer Angeklagter erhielt einen Freispruch gegen die Auflage, 300 Euro an ein Tierheim zu zahlen. Die drei übrigen Angeklagten wurden wegen versuchter Nötigung zu jeweils 2.250 Euro Geldstrafe verurteilt. Dabei wertete das Gericht die Aktion als versuchte, aber nicht vollendete Nötigung, da die Fahrzeuge im Stau nur im „Stop-and-Go“-Verkehr blockiert waren und nicht vollständig stillstanden.

In der Urteilsbegründung führte das Gericht aus, dass die Verwerflichkeit der Handlung in der Relation von Zweck und Mittel liege. Die Beweggründe der Angeklagten seien zwar lobenswert. Das Ziel, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, rechtfertige jedoch nicht die Verkehrsstörung. Die Fortbewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmenden sei unzulässig beeinträchtigt worden. Daher sah das Gericht die Verwerflichkeit und damit die Strafbarkeit der Aktionen als gegeben an.

* Leonie Schulz

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