Mehr Sicherheit: Stadt und Polizei stellten Strategie vor

Eine Gesamtstrategie zur Kriminalitätsbekämpfung haben Stadt und Polizei vorgestellt. Mit Präsenz, Prävention und enger Zusammenarbeit wollen sie für mehr Sicherheit sorgen.
In Marburg sollen sich alle Menschen sicher fühlen und sicher sein – das ist das Ziel einer Gesamtstrategie, die die Stadt Marburg in Abstimmung mit der Polizei und weiteren Akteuren erstellt hat. Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Polizeichef Frank Göbel haben die Ausrichtung für Prävention und Sicherheit in der Innenstadt bereits am Mittwoch (3. Juli) vorgestellt. Sie besteht aus bewährten Maßnahmen wie vielen Streifendiensten und Verhaltenstrainings an Schulen, aber auch aus neuen Projekten wie Polizeihund Paul, bessere Beleuchtung und Überlegungen zum Aufbau eines „Hauses des Jugendrechts“.
„Wir wollen, dass sich alle Menschen bei uns zu jeder Tages- und Nachtzeit und an jedem Ort sicher fühlen und sicher sind“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „Das ist eine komplexe Herausforderung; und deswegen haben wir auch ein komplexes Bündel an Maßnahmen erarbeitet und gemeinsam mit der Polizei, Wissenschaft, Jugendhilfe, Gleichstellungsreferat und unserem Präventionsrat Einsicht – Marburg gegen Gewalt abgestimmt. Denn seit vielen Jahren werden Sicherheit und Prävention in Marburg großgeschrieben.“
In Marburg arbeiten unterschiedliche Akteure intensiv an der Verbesserung der objektiven und der subjektiven Sicherheit in der Stadt: Eine breite Landschaft freier Träger, klinische Institute und Einrichtungen der Jugendhilfe fallen ebenso darunter wie die enge Kooperation der Polizei und der Stadtverwaltung und ein städtischer Sicherheits- und Präventionsexperte. Dennoch ist auch in Marburg – ebenso wie national und international – eine Zunahme der Jugendgewalt zu beobachten.
„Marburg ist eine sichere Stadt; aber so wie überall bleiben auch wir nicht von den Tendenzen zunehmenden aggressiven Verhaltens verschont“, berichtete Spies. „Das nehmen wir sehr ernst und intensivieren daher kontinuierlich unsere Arbeit im Bereich der Sicherheit.“
der Leitende Kriminaldirektor Frank Göbel erklärte: Wir begrüßen die – mit uns eng abgestimmte – Sicherheitsstrategie. Auch in diesem Jahr setzen wir die intensive und konstruktive Zusammenarbeit mit der Stadt Marburg fort. So werden wir insbesondere in den Sommermonaten angepasste, gemeinsame Kontrollaktionen im Rahmen der Innenstadtoffensive Sicheres Marburg durchführen.“
Besondere Priorität hat die Bekämpfung der Jugendkriminalität. „Um junge Menschen frühzeitig vor weiteren kriminellen Karrieren zu bewahren, sind der ganzheitliche Ansatz und die Planungen für ein Haus des Jugendrechts wichtige Bausteine. Neben den vielen weiteren geplanten Maßnahmen des Gesamtkonzeptes sind wir optimistisch, was die Einrichtung einer Videoschutzanlage in den Bereichen des Marktdreiecks und des Hauptbahnhofs angeht. Wir bewerten dauerhaft diese Kriminalitätsschwerpunkte und stehen diesbezüglich bereits seit dem vergangenen Jahr mit der Stadt Marburg im engen Austausch.“
Der Entwurf der Sicherheitsstrategie besteht aus repressiven und präventiven, aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen. Er bündelt und erweitert bestehende Projekte und ergänzt sie mit neuen Maßnahmen.
Polizei und Stadtpolizei erhöhen ihre Präsenz in der Innenstadt noch stärker. Es gibt verdeckte Fußstreifen, Sonderkontrollen mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei und Aufenthaltsverbote für Mehrfachtäter. „Seit 2018 läuft das Konzept Sicheres Marburg, und seither haben wir das Personal der Stadtpolizei verdoppelt und die Einsatzzeiten verlängert“, berichtete Stephan Grün-Fischer. Er ist Leiter des städtischen Fachdienstes „Sicherheit und Verkehrsüberwachung“.
Einsatzplanung und Ausstattung werden weiter optimiert etwa mit Diensthund „Paul“. Sobald er ausgebildet ist, geht er mit seinem Hundeführer auf Streife. Der Diensthund schafft Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern, wirkt präventiv und deeskalierend – kann in einer Gewaltsituation aber auch der Abschreckung dienen.
Stadt und Polizei wollen außerdem die Oberstadtwache zu einer Innenstadtwache ausbauen. Sie soll eine schnelle Reaktion der Sicherheitsbehörden ermöglichen und Anlaufstelle für Menschen sein. Geprüft wird derzeit, welche sinnvollen und verfügbaren Standorte es in der Innenstadt gibt. Darüber hinaus prüft die Stadt Marburg, ob Überwachungskameras als präventive Maßnahme an weiteren Orten neben der erfolgreichen „LISA“ im Jägertunnel rechtlich möglich und sinnvoll in das Gesamtkonzept eingebettet werden können etwa im Bereich des Marktdreiecks oder am Hauptbahnhof.
Attraktive Angebote der Jugendhilfe sind wichtig, um Kindern und Jugendlichen eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu bieten und auch um Frustration und aggressivem Verhalten vorzubeugen. Dazu gehört etwa „SuPPOrdJu“. Polizei-Präsidium, Ordnungsamt und Jugendamt arbeiten zusammen daran, Jugendliche über Alkohol- und Drogenmissbrauch aufzuklären und sie sowie Eltern zu beraten und zu unterstützen. Dazu gehören auch gemeinsame Jugendschutzkontrollen.
Ein weitere Idee kommt nun mit dem „Haus des Jugendrechts“ hinzu: Mit Zustimmung des Innenministeriums und des Justizministeriums könnte die Polizei gemeinsam mit dem Landkreis und der Stadt Marburg in einem „Haus des Jugendrechts“ an einem Ort eine noch bessere Zusammenarbeit für alle Beteiligten schaffen. So können die Institutionen möglichst schnell intervenieren, wenn junge Menschen erstmals auffällig werden. „Es geht darum, früh und konsequent auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten Jugendlicher zu reagieren und dadurch zu verhindern, dass sie vollends auf die schiefe Bahn geraten“, erläuterte Spies. Zur Prävention im Bereich der Jugendarbeit gibt es außerdem Streetworker –
Dafür hat die Stadt zwei Stellen geschaffen, um Jugendliche niedrigschwellig zu erreichen. Ebenso für Sicherheit können „Freundliche Uffbasser“ sorgen –
speziell geschulte junge Menschen unter 25 Jahren, die durch freundliche Ansprache auf Augenhöhe dafür sorgen können, dass eine Situation gar nicht erst eskaliert.
Zudem arbeitet die Stadt derzeit an einem Konzept, wie insbesondere die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl von Mitgliedern der queeren Community verbessert werden können. Zum Konzept gehört auch, dass die Stadt Marburg weiterhin auf die Landesregierung einwirkt und sich dafür einsetzt, ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot in Einzelfällen verhängen zu dürfen. Damit Menschen im öffentlichen Raum sicherer unterwegs sind und sich vor allem auch sicherer fühlen, sind Licht und Einsehbarkeit wichtig.
Oftmals können schon kleinere bauliche Veränderungen helfen oder die Umgestaltung von „Angst-Orten“ etwa zu Gemeinschaftstreffpunkten, die von der Stadtgesellschaft belebt werden. Die Stadt arbeitet an einem Beleuchtungskonzept, um Problemstellen – wichtige Fuß- und Radwege und eine Jogging-Route – gut zu beleuchten. Der Ortenbergsteg soll heller gestaltet werden, indem die Seitenwände ausgetauscht werden – durch durchsichtige Seitenwände. Mit dieser Empfehlung einer Expertin des Polizeipräsidiums Mittelhessen entsteht eine Sichtbeziehung zwischen dem Steg und den Wartebereichen und dem Bahnhofsvorplatz. Der Steg wird dadurch subjektiv sicherer und es verringern sich Tatgelegenheiten.
Was tun, wenn etwas passiert? Wo gibt es Hilfe? Wie erkenne ich, ob andere Menschen Hilfe brauchen? Wie kann ich helfen, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen?
Menschen zu schulen, damit sie im Ernstfall eingreifen können oder wissen, was zu tun ist, ist auch ein wichtiger Baustein für mehr Sicherheit und mehr Sicherheitsempfinden. Deshalb wird es zielgruppenorientierte Sicherheitstrainings geben. Gibt es Vorfälle in einem Bus, so ist es hilfreich, wenn die Busfahrer*innen geschult sind. Aber auch die Mitarbeitenden an zentralen Orten sollen im Ernstfall helfen können.
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Cineplex sind beispielsweise geschult und vorbereitet, um Menschen zu helfen, die sich unsicher oder bedroht fühlen. Auch den Beschäftigten im Erwin-Piscator-Haus (EPH) oder in der Mensa sollen entsprechende Schulungen durch Polizei und Ordnungsamt angeboten werden. Es gibt spezielle Trainings zur Deeskalation für Deutsch-Intensivklassen, Awareness-Teams bei Stadtfesten oder Selbstbehauptungskurse freier Träger.
Darüber hinaus finanziert die Stadt die Kampagne des Vereins Frauennotruf zum Thema „K.O.-Tropfen“ weiter, die bislang vom Land Hessen finanziert wurde. Im Bereich der sexualisierten Gewalt wird es weiter Kampagnen gegen Catcalling geben und Maßnahmen, damit auch Trans-Personen sich in Marburg sicher fühlen können. Eine rote Bank – ausgestattet mit QR-Code zu weiteren Infos – soll im Stadtbild aufmerksam machen auf das Thema Partnergewalt.
Ein Fokus bei Sicherheitstrainings und Aufklärung liegt auch auf jungen Menschen. Denn Menschen unter 25 Jahren sind laut polizeilicher Kriminalstatistik nicht nur mehrheitlich Täter von körperlicher Gewalt –
Jugendliche und Heranwachsende sind oftmals auch Opfer. „Auch junge Menschen sollen sich in Marburg sicher und wohl fühlen“, sagte Spies. Dabei soll gezeigt werden, wo Hilfe erreichbar ist, wenn man zum Beispiel bedroht oder „abgerippt“ wird – und dass es keine Schande ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Gesamtstrategie soll in ihren einzelnen Bausteinen wissenschaftlich begleitet und die Wirksamkeit immer wieder überprüft werden. „Wir wollen uns immer wieder hinterfragen und verbessern“, erklärte Präventionsexperte Johannes Maaser von der Stadt Marburg. „Dazu untersuchen wir, welche Maßnahmen gut sind und ausgebaut werden – und welche vielleicht nicht funktionieren und verändert werden müssen.“ Mit einer wissenschaftlichen Evaluation könne die Stadt außerdem erreichen, dass die Öffentlichkeit Vertrauen in die Wirksamkeit der Maßnahmen hat – und sich sicherer fühlen können.#
Das Konzept „Sicherheit in Marburg“ wurde am Montag (1. Juli) vom Magistrat der Universitätsstadt Marburg beschlossen. Es geht nun zur weiteren Beratung in die Stadtverordnetenversammlung (StVV), damit die Strategie nach einer Beschlussfassung unter enger Beteiligung weiter ausgearbeitet werden kann.
Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) misst die relative Sicherheit mit sogenannten „Häufigkeitszahlen“. In Marburg kommen demnach 6.653 Straftaten auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. In Gießen sind es 9.878.
Im Jahr 2022 gab es in Marburg 3.907 Straftaten, 2023 einen Anstieg auf 4.268. Die Gewaltkriminalität ist dabei von 291 Fällen im Jahr 2022 um 6,8 Prozent auf 271 Fälle im Jahr 2023 gesunken, die Straßenkriminalität von 1.082 Fällen auf 1.051 Fälle.
Auffällig ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen an den Tatverdächtigen: 2019 waren es 129 Kinder und 478 Jugendliche. Im Jahr 2023 registrierte die Polizei dann 239 Kinder und 509 Jugendliche als Verdächtige.
Eine Studie im „Kommunalprogramm Sicherheitssiegel“ (KommPaSS) hat zudem ergeben, dass die Marburgerinnen und Marburger ihr Sicherheitsgefühl mehrheitlich als „gut bis sehr gut“ bewerten. Allerdings benannten auch 28 Prozent der Befragten mindestens einen Ort, an dem sie sich unsicher fühlen. Für Männer sind das eher belebte Orte, wie der Hauptbahnhof, Marburg-Mitte und die Lahnterrassen oder die Lahnwiesen. Frauen fürchten sich eher an ruhigen Orte, wie dem Schülerpark und den Wegen entlang der Lahn.

* pm: Stadt Marburg

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