Wie gelangt der Schwefel in Eisen-Schwefel-Proteine? was hat der Weg des Schwefels mit der Krankheit „Friedreich-Ataxie“ zu tun??
Das medizinisch bedeutsame Protein „Frataxin“ sorgt dafür, dass die Herstellung von lebenswichtigen Eisen-Schwefel-Proteinen schnell und präzise erfolgt. Das hat eine Kooperation dreier Forschungsgruppen unter Marburger Leitung herausgefunden, indem sie anaerobe Kryo-Elektronenmikroskopie, biochemische Verfahren und Mössbauer-Spektroskopie kombinierte. Das Team berichtet im Forschungsmagazin „Nature Communications“ über seine Ergebnisse.
„Enzyme mit Eisen-Schwefel-Clustern – Würfelchen aus Eisen- und Schwefelionen – sind unersetzlich für zahlreiche essenzielle Lebensprozesse“, erklärte der Biochemiker Prof. Dr. Roland Lill von der Philipps-Universität, der seit vielen Jahren an der Synthese von Eisen-Schwefel-Proteinen arbeitet und das Forschungsprojekt initiierte. Diese Proteine sind insbesondere an der Energiegewinnung in den Mitochondrien, an der Vervielfältigung der Erbsubstanz DNA sowie an deren Reparatur nach Schädigungen im Zellkern beteiligt.
Die Entstehung von Eisen-Schwefel-Proteinen ist ein mehrstufiger Prozess, der das Zusammenwirken spezialisierter Enzyme erfordert. Die Reifung von Eisen-Schwefel-Clustern startet an einem Molekülkomplex im Mitochondrium. Das ist ein Zellorganell, das auch für die Energieumwandlung der Zelle zuständig ist.
„Wie der Schwefel für die Synthese von Eisen-Schwefel-Clustern an seinen Platz gelangt, war bislang nicht klar“, führte Lills Mitarbeiter Dr. Vinzent Schulz aus. Er ist einer der drei Leitautoren des Fachartikels. Um zu klären, wie Schwefel aus der Aminosäure Cystein freigesetzt und dann von einer Komponente des Molekülkomplexes zur nächsten weitergereicht wird, tat sich Lills Marburger Team mit den Arbeitsgruppen von Dr. Bonnie J. Murphy am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt und von Prof. Dr. Volker Schünemann an der Universität Kaiserslautern-Landau zusammen.
„Die anaerobe Kryo-Elektronenmikroskopie lieferte zum ersten Mal genaue Schnappschüsse, die den schrittweisen Übergang des Schwefels vom Cystein über die Komponenten NFS1 zum ISCU2 zeigen“, legte Lill dar. „Die gefundenen Zwischenstufen sind extrem labil und waren daher nur schwer strukturell fassbar. Man musste ein kleines Schwefelmolekül in einer vieltausendmal größeren Struktur genau erkennen.“
Eingehende biochemische Voranalysen erlaubten es, die Zwischenschritte so spezifisch herzustellen, dass sich die Einzelschritte des Prozesses erstmals beobachten ließen. Zu dem Molekülkomplex gehört unter anderem Frataxin; dabei handelt es sich um ein klinisch relevantes Protein, das bei der seltenen neurodegenerativen Erkrankung „Friedreich-Ataxie“ in mutierter Form vorliegt. Erst kürzlich wurde ein erstes Medikament für diese Krankheit zugelassen.
„Aber welche genaue biochemische Aufgabe Frataxin normalerweise im Prozess der Eisen-Schwefel-Cluster-Synthese übernimmt, war bislang weitgehend unbekannt“, erläuterte Lill. „Meist wurde eine direkte Eisenbindung vermutet.“
Nun fand die Gruppe heraus, dass Frataxin dabei hilft, den Schwefel innerhalb des Molekülkomplexes schnell und präzise vom NFS1 zum ISCU2 weiterzugeben. „Dabei induziert Frataxin kleine Strukturveränderungen, die die Schwefel-übertragenden Aminosäuren so nahe zueinander bringen, dass die Reaktion schnell und präzise stattfinden kann“, erklärte der Marburger Zellbiologe. „Aus diesen Erkenntnissen lassen sich nun Ideen für neue Therapieansätze entwickeln.“
Lill leitet das Institut für Zytobiologie und Zytopathologie der Philipps-Universität und gehört dem Marburger „LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO)“ an. Der Biochemiker ist Träger des Leibnizpreises. Das ist der am höchsten dotierte deutsche Wissenschaftspreis. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Max-Planck-Gesellschaft haben seine jüngste Forschungsarbeit finanziell unterstützt.
* pm: Philipps-Universität Marburg