Der Marburger Kamerapreis geht an Sturla Brandth Gr/vlen. Das haben Stadt und Uni am Montag (22. Januar) bekanntgegeben.
Die Universitätsstadt Marburg und die Philipps-Universität vergeben seit 2001 den mit 5000 Euro dotierten Marburger Kamerapreis. In diesem Jahr geht er an den norwegischen Bildgestalter Sturla Brandth Grøvlen. Einem breiten Publikum bekannt ist sein Film „Der Rausch“ aus dem Jahr 2020 in der Regie von Thomas Vinterberg mit Mats Mikkelsen in der Hauptrolle, der 2021 mit dem „Oscar“ für die internationale Produktion ausgezeichnet wurde.
Der im norwegischen Trondheim geborene Bildgestalter Sturla Brandth Grøvlen zog 2015 vor allem durch „Victoria“ in der Regie von Sebastian Schipper das Interesse vieler Filmschaffenden auf sich. Es war erst sein zweiter Langfilm, in dem in 140 Minuten ohne einen einzigen Schnitt die Geschichte eines gescheiterten Bankraubs erzählt wird. Für diese künstlerische Leistung erhielt Grøvlen den „Silbernen Bären“ der Berlinale.
Die Bilder dieses Films sind neben ihrer technisch-performativen Qualitäten auch von Grøvlens Sensibilität für Atmosphäre, emotionale Erzählweisen und Dramaturgie geprägt. Zur Bekanntgabe des Preisträgers sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies in Anlehnung an ein Zitat des Regisseurs Francis Ford Coppola: „Das Kino ist ein Ort, an dem Magie stattfindet und an dem die Magier*innen ihren Platz finden.“
Zum Preis erklärte er: „Der Kamerapreis ist eines der besten und ältesten Beispiele der Kooperation von Universitätsstadt und Universität, gemeinsam mit den Marburger Kinobetrieben und dem Berufsverband Kinematografie (BVK).“ „Grøvlens künstlerische Neugier, seine Unerschrockenheit bei der Abweichung von etablierten Arbeitsabläufen und Techniken der Bildgestaltung und sein physischer Elan machten ihn zum idealen Kandidaten für die nicht nur technisch herausfordernde Umsetzung des Films“, heißt es in der Begründung des Beirats, der den Preisträger auswählt. Die Entscheidung der Jury für Sturla Brandth Grøvlen fiel einstimmig aus.
Der dynamische, jugendliche Geist, der sich in der Ästhetik und den rebellisch-neugierigen Figuren von „Victoria“ spiegelt, finde sich auch in vielen anderen der von Grøvlen fotografierten Filme wider, erläuterte der Beirat: „Oft bewegt sich seine Kamera mit Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe und dynamisiert das Geschehen, indem Bewegungen flexibel aufgegriffen, begleitet und fortgeführt werden. So übertragen sich das Rohe und Zornige der Charaktere, aber auch ihre Ängste und Nöte in eine vibrierende Visualität.“
Die Filme „Herzstein“ von 2016 und „Beautiful Beings“ von 2022 – beide in der Regie von Guðmundur Arnar Guðmundsson – folgen dem Leben jugendlicher Isländer in ebenso fokussierter wie reduzierter Weise und widmen sich zugleich der kargen Landschaft, die sie umgibt. Grøvlens Bilder changieren zwischen behutsamen Nahaufnahmen und nicht weniger nuanciert gestalteten Landschaftstotalen. Mit dem besonderen Gespür Grøvlens für die Natur geht eine Affinität zum skandinavischen Licht einher, das in den meisten seiner Filme extrem fahl und weich in Innenräume dringt und auf die menschliche Haut fällt. Dabei entstehen pastellfarbene, geradezu rosige Töne, die das Fragile der Schauspielenden ebenso behutsam unterstreicht wie ihre Schönheit.
Über sich selbst sagte Grøvlen: „Ich tendiere eher zu Projekten, die eine Art Düsternis in sich haben.“ Das passt zu der Anmerkung des Beirats, dass sich zu fahlem Nordlicht wie beispielsweise in „Sture Böcke“ von 2015 unter der Regie von Grímur Hákonarson in seinen Arbeiten eine meist durch Gegenlichtaufnahmen akzentuierte, bild- und raumgreifende Dunkelheit geselle. „Durch hohe Kontraste und den Mut, Teile des Bilds stark unterzubelichten, entstehen düstere Szenarien. Durch das Abschatten von Figuren wird ihre düstere oder traurige Seite hervorgekehrt“, heißt es in der Begründung.
Eindrucksvoll zu beobachten ist das bei den Figuren in „Der Rausch“: Mitunter versinken die Figuren in Grøvlens Bildern nahezu vollständig in den kunstvoll arrangierten Grau- und Schwarzbereichen. Aufgebrochen werde diese Dunkelheit in fast jedem seiner Filme von einem leuchtenden roten Licht, das in seiner ausgestellten Künstlichkeit den Gegenpol zu der Gestaltung des fahlen Sonnenlichts bildet. Bereits in „Victoria“ habe Grøvlen das Zwielicht der Nacht, hohe Farbkontraste und die bleierne Morgendämmerung kombiniert. Seitdem habe sich sein Umgang mit Licht anhand dieser drei Konstanten unterschiedlicher Genres und Filmindustrien ausdifferenziert und verflochten.
Der Film „The Innocents“ aus dem Jahr 2021 in der Regie von Eskil Vogt, der sich um eine Gruppe von Kindern mit außergewöhnlichen und zunehmend bedrohlichen Fähigkeiten dreht, brachte Grøvlen weitere Auszeichnungen wie den Sven Nykvist Award beim Göteborg International Film Festival 2022 ein. Darüber hinaus arbeitete der Bildgestalter immer öfter bei US-amerikanischen Produktionen wie „The Discovery“ – 2017 unter Regie von Charlie McDowell –
oder „Shirley“ aus dem Jahr 2020 in der Regie von Josephine Decker mit. Für das Kriegsdrama „War Sailor“ 2022 in der Regie von Gunnar Vikene wurde er von der American Society of Cinematographers mit dem ASC Spotlight Award geehrt.
Neben seinen Spielfilmen wirkte Grøvlens auch an zwei Dokumentarfilmen, einigen Arbeiten für das skandinavische Fernsehen, einer Fülle an Kurzfilmen und einigen Musikvideos mit. Der Marburger Kamerapreis honoriert die stilistische Bandbreite von Sturla Brandth Grøvlens bildgestalterischer Arbeit, ihre thematische Vielfalt, seine künstlerische Kontinuität und seine eindrucksvolle Schaffenskraft.
Der Marburger Kamerapreis wird seit 2001 vergeben. Die Philipps-Universität und die Universitätsstadt Marburg vergeben den Marburger Kamerapreis in diesem Jahr zum 23. Mal. Der Preisträger ist bekanntgegeben worden durch Ariadne Hohndorf aus dem Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg, Prof. Dr. Malte Hagener und Dr. Martin Jehle vom Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität, Hubert Hetsch vom Marburger Filmkunsttheater und Jörg Geißler vom Berufsverband Kinematographie.
Ihr gemeinsames Ziel ist, diejenigen zu würdigen, die das zentrale Element des Films – das Bild – schaffen und oft zu Gunsten von Schauspieler*innen und Regisseur*innen in den Hintergrund treten. Bei den Marburger Bild-Kunst-Kameragesprächen steht daher die Bildgestaltung für zwei Tage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Preisgeld wird zu gleichen Teilen von ARRI und der Sparkasse Marburg-Biedenkopf gestiftet.
Die Bild-Kunst Kameragespräche finden in diesem Jahr vom 2. bis 4. Mai in den Filmkunsttheatern im Capitol Marburg statt. Die Preisverleihung ist am Samstag (4. Mai) um 20 Uhr. Der Eintritt ist kostenfrei. Weitere Informationen gibt es unter www.marburger-kamerapreis.de.
* pm: Stadt Marburg