Terror, Tod und Trauer: Ein Schlag, der vielen die Sprache verschlagen hat

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Zu Zeiten von Terror und Krieg stimmt diese alte Volksweisheit leider nicht mehr.
„Das musste mal gesagt werden.“ Diese Floskel trifft jedoch auch nicht den Kern des derzeitigen Dilemmas, denn mit vielem, was man zu den aktuellen Ereignissen sagt, kann man letztlich nur falsch liegen. Die Wahrheit ist längst nicht so einfach, wie es manchen scheint.
Der Angriff der Hamas am Samstag (21. Oktober) auf Isral war ein Terrorakt, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Daran besteht für vernunftbegabte und mitfühlende Menschen kein Zweifel. Die Hamas ist eine kriminelle und menschenverachtende Terrororganisation, die vor Mord und Folter sowie Verschleppung und Geiselnahme nicht zurückscheut.
Mitgefühl mit den vermutlich 229 Menschen, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden, sollte für alle Menschen überall auf der Welt selbstverständlich sein. Schließlich wollte wohl niemand von ihnen das gleiche Schicksal erleiden, das die Hamas ihnen zumutet. Mitgefühl mit ihren Familien und denen der Toten auf beiden Seiten ist ebenfalls eine humanitäre Grundhaltung, die nicht in Frage steheen sollte.
Wenn dann jemand über Ursachen und die Vorgeschichte spricht, dann entbrennt jedoch sehr schnell Hass. Ebenso kam früh die Frage auf, warum sich manche zu dem Terror der Hamas nicht geäußert haben,die sich sonst häufig mit dezidierten Stellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen hervortun. Hasserfüllte Hetzparolen gegen Israel waren bei Demonstrationen in Deutschland zu hören, die häufig von unerträglichem Antisemitismus geprägt waren.
Der Nahe Osten ist seit beinahe 100 Jahren eine Region voller Konflikte. Das begann mit der Auswanderung europäischer Jüdinnen und Juden nach Palästina aufgrund der zionistischen Bewegung von Theodor Herzl schon lange vor der Gründung des Staats Israel. Im britischen Protektorat trafen die Einwanderer auf diejenigen, die dort seit Jahrhunderten lebten und denen sie aufgrund ihrer Glaubensgeschichte ältere Rechte auf ihr gelobtes Land entgegenhielten.
Nach der Shoa war die Gründung des Staats Israel eine notwendige Folge der Massenvernichtung von 6 Millionen europäischer Jüdinnen und Juden. Sie sollten und mussten eine „Heimstatt“ finden, wo sie ohne Furcht und Schrecken lebeen konnten. Diese Hoffnung hat der Staat Israel aber leider nie ganz erfüllt.
Jahrzehntelang prägten Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarländern sowie mit den Palästinensern das Leben im neuen Staat. Hoffnung kam mit dem Osloer Vertrag auf, der das friedliche Zusammenleben beider Völker vorsah. Doch mit der Ermordung von Izrak Rabbin war der Osloer Friedensvertrag und die darin ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung mitgestorben.
Seither haben die Hardliner auf beiden Seiten alles unternommen, um eine friedliche Koexistenz zu verhindern. Umso bitterer ist die Tatsache, dass der Angriff der Hamas am Samstag (7. Oktober) ausgerechnet einen Kibuz traf, wo die Friedfertigen gerade ein Festival feierten.
Die Falken auf beiden Seiten scheinen kein Interesse zu haben am Frieden. Beiden scheint die Gewalt ebenso wie die Vernichtung der jeweiligen Gegenseite die Argumente zu liefern für ihre Macht gegenüber der eigenen Bevölkerung, der beide Seiten wichtige demokratische und rechtsstaatliche Grundrechte vorenthalten. Die Schwäche der israelischen Regierung aufgrund der geplanten Aushebelung der Gewaltentrennung und der Proteste dagegen mag möglicherweise ein Anlass für die Hamas gewesen sein, ihren Terrorangriff genau in dieser Zeit zu starten.
Mitgefühl mit den Menschen auf beiden Seiten, die unter dem Terror der amtierenden und einiger vorheriger israeelisccher Regierungen wie unter dem Terror der Hamas leiden, ist mehr als ehrenhaft. Menschenrechte kennen keine Nationalität und Herkunft oder Hautfarbe. Sie gelten für alle Menschen überall auf der Welt.
Die völlige Abriegelung des Ghaza-Streifens ist nicht zu rechtfertigen durch den Angriff der Hamas auf Israel, da sie Unbeteiligte in ihren Lebensgrundlagen trifft. Zudem wird sie den Hass der palästinensischen Bevölkerung auf Israel nur noch verschärfen. Einmal mehr stärken harte Maßnahmen auf beiden Seiten die Hardliner der jeweiligen Gegenseite.
Wenn in Marburg jetzt Partei ergriffen wird für die eine oder andere Seite, dann mag das den jeweiligen familiären oder kulturellen Bindungen geschuldet sein. Solange die Leute das Leid der jeweils anderen auch respektieren, sollte das kein Problem sein. Auch die Debatte über Hintergründe des Nahostkonflikts und kritische Anmerkungen zu israelischem Regierungshandeln sind sollange nicht antisemitisch, wie sie auch die Gewalt der Hamas sowie – früher noch stärker als zuletzt – auch der Fatah berücksichtigen.
Ideologien helfen niemals weiter. Offenheit des Denkens bedingt allerdings auch die Offenheit für die Argumente der jeweils anderen Seite. Die alte Weisheit von Rosa Luxemburg gilt auch bei Konflikten und Kriegen, dass die Freiheit auch immer die Freiheit des Anderen ist.

* Franz-Josef Hanke

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