Grafiken zum Ertasten erleichtern das Studium für Blinde und Sehbehinderte. Ein erster barrierefreier Arbeitsplatz für MINT-Studierende wurde an der Philipps-Universität eingerichtet.
Die Philipps-Universität hat einen ersten barrierefreien Arbeitsplatz für blinde oder sehbehinderte Studierende mit MINT-Schwerpunkt eingerichtet. Bisher war es für diese Studierenden schwierig, grafische Studieninhalte aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften) zu erfassen, da Informationen wie flächige Formeldarstellungen nur sehr schwer oder gar nicht mit Vorlese-Software oder Braille-Zeilen zugänglich gemacht werden können.
Der neue Arbeitsplatz eröffnet blinden und sehbehinderten Studierenden einen selbständigen Zugang zu ihren Lernmaterialien. Er ist mit taktilen Zeichenbrettern, einem tactonom reader und einem Schwellkopierer ausgestattet. Die Studierenden können damit digital aufbereitete Grafiken auf beschichtetem Spezialpapier ausdrucken.
Die bedruckten Flächen auf diesem Papier werden dann im sogenannten „Schwellkopierer“ erhitzt und so zu tastbaren Elementen. Dabei entsteht eine taktile Grafik, die die Studierenden mit dem tactonom reader erkunden können.
Den tastenden Fingerbewegungen folgend, ruft der Reader akustische Informationen ab, die in einer Datenbank hinterlegt sind. Zusätzlich können auf den Zeichenbrettern auch eigene Skizzen zur Verdeutlichung angefertigt werden.
Der barrierefreie Arbeitsplatz befindet sich an einem gut frequentierten studentischen Lernort im Neubau des Fachbereichs Chemie auf dem Campus Lahnberge und soll so blinde und sehbehinderte Studierende aller MINT-Fächer zu einem inklusiven und fächerübergreifenden Lernprozess einladen. Die Philipps-Universität ist eine der ersten Universitäten in Deutschland, die einen solchen Arbeitsplatz anbietet. Die Einrichtung des Arbeitsplatzes wurde von der Paul und Charlotte Kniese-Stiftung finanziert.
Der Arbeitsplatz ergänzt das Projekt „Math4VIP“, das Prof. Dr. Ilka Agricola bei der Volkswagenstiftung eingeworben hat. Im Mai startete das Kooperationsprojekt des Fachbereichs Mathematik und Informatik der Philipps-Universität mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ziel ist die Schaffung einheitlicher Darstellungs- und Notationsstandards für blinde und sehbehinderte Studierende in den MINT-Fächern.
„So kann auch blinden und sehbehinderten Studierenden ein intuitiver und grafischer Zugang zu mathematischen Inhalten ermöglicht werden, welcher für mathematisches Verstehen essentiell ist“, sagte Agricola, die das Projekt „Math4VIP“ gemeinsam mit Kai Kortus leitet. Kortus ist selbst blind und hat ein Mathematik-Studium absolviert.
„Es ist besonders wichtig, den Übergang von der Schule zur Hochschule barrierefrei zu gestalten, damit ein Studium der MINT-Fächer für mehr blinde und sehbehinderte Studieninteressierte zu einer echten Alternative wird“, sagte er.“ Für seine Pläne zur Erreichung dieses Ziels wurde Kortus 2022 von der Philipps-Universität auch mit dem Lehrpreis „Lehre@Philipp22“ ausgezeichnet.
* pm: Philipps-Universität Marburg