Brand in Synagoge: Besinnungsstunde erinnerte an Pogromnacht in Marburg

Mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hat das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte begonnen. Daran erinnerte eine Besinnungsstunde am Donnerstag (9. November) bei der ehemaligen Synagoge an der Universitätsstraße.
Zelebriert haben die Gedenkstunde der Magistrat der Universitätsstadt Marburg, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Jüdische Gemeinde zusammen mit fast 100 Bürgerinnen und Bürgern. Dunkelheit und Stille herrschten währenddessen im Garten des Gedenkens an dem Ort, wo 79 Jahre zuvor unfassbare Gewalt gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Eigentum und deren Gotteshaus ausgeübt wurde. Verübt wurden diese Verbrechen von den eigenen Nachbarinnen und Nachbarn.
Die Dunkelheit wurde nur durchbrochen von zehn hell leuchtenden Quadraten im Boden. Darin deutlich sichtbar waren Texte, die an den Holocaust erinnern.
„Wo sind sie nur geblieben?“, leuchteten die Worte in einem der Zettelkästen. Die Stille wurde nur durchbrochen vom Gesang der Musikgruppe „Four Voices“ der Alfred-Wegener-Schule in Kirchhain. Die Worte „You and I’ll be safe – „Du und ich werden sicher sein“ – erklangen am Standort der ehemaligen Synagoge, wo sich rund 100 Marburgerinnen und Marburger versammelt haben, um der Opfer der Pogromnacht zu gedenken. „Aus dem Holocaust erwächst für uns die Pflicht, jeglichem Antisemitismus –
aber auch allen anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – mit allen Mitteln des Rechts, der Bildung, der Kultur und der wehrhaften Demokratie entschieden entgegenzutreten heute mehr denn je“, betonte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei seiner Ansprache im Garten des Gedenkens. Er stellte die Frage, ob das Mahnmal am früheren Standort der Synagoge, wo sie in der Pogromnacht zerstört wurde, der richtige Ort sei, um dort in seiner Freizeit zu sitzen und die Stille zu genießen, ohne sich Gedanken über die Geschichte zu machen.
Diese Frage beantwortete Spies gleich selbst: „Genau so muss ein Raum des Gedenkens sein. Nicht abgekapselt und versteckt in einem geschlossenen Gebäude, wo nur die ihn sehen, die ihn suchen, sondern mitten im Leben, im Alltag, mitten im öffentlich Raum und ganz selbstverständlicher Teil unserer Stadt.“ Alle, die sich dort regelmäßig aufhielten, Zeit verbringen oder einfach nur vorbeigehen, würden sich irgendwann fragen, was es mit dieser Baulücke im Herzen der Stadt auf sich habe und dann an die realen Auswirkungen des NS-Regimes denken, die bis heute nachwirken.
„Dieser Hass, diese unbegreifliche Gewalt ging nicht von irgendwelchen einzelnen Menschen an irgendeinem weit entfernten Ort aus, sondern genau hier – mitten im Herzen der Stadt – haben Marburgerinnen und Marburger ihre Nachbarn, Schulfreunde, ihre Mitmenschen ausgegrenzt, entmenschlicht und in die nationalsozialistischen Konzentrationslager deportiert“, führte das Stadtoberhaupt aus. „Der Holocaust erfüllt uns bis heute mit Scham und Abscheu.“
Klaus Dorn von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wies die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkstunde auf die Zettelkästen im Boden hin. Jedes Jahr am 9. November werden die zehn ausgewählten Texte darin ausgetauscht.
In diesem Jahr wollte der Vorstand um Dorn gerne Lichtblicke der jüdischen Gemeinschaft in Marburg in den Vordergrund rücken anlässlich des 700-jährigen Jubiläums. Mitglieder waren dazu aufgerufen, Textvorschläge einzureichen.
„Dabei wurden wir von der Wirklichkeit eingeholt“, bedauerte er, dass bei den Bundestagswahlen eine Partei viel Zuspruch erhalten hat, in der führende Mitglieder nationalistisches Gedankengut äußerten. Die zehn Texte enthalten nun Erinnerungen an eine Geschichte, „die sich nicht wiederholen darf“.
Ehrenbürger Amnon Orbach sprach als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde im Rahmen der Besinnungsstunde jüdische Gebete. Oberbürgermeister Spies legte gemeinsam mit der Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk im Beisein von Bürgermeister Wieland Stötzel sowie Mitgliedern des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung einen Kranz nieder.

* pm: Stadt Marburg

Kommentare sind abgeschaltet.