Seit Oktober 2022 wird die „Letzte Generation“ überwacht. Betroffen von diesem undemokratischen Eingriff in die Presse und Informationsfreiheit ist auch mindestens ein Marburger Journalist.
Wie am Freitag (23. Juni) bekannt wurde, überwacht das Bayerische Landeskriminalamt seit Oktober 2022 gezielt Telefonate, Mail-Verkehr sowie Bewegungsprofile von Unterstützerinnen und Unterstützern der „Letzten Generation“. Das Presse-Telefon, über das Journalistinnen und Journalisten jederzeit Fragen stellen können, wird allem Anschein nach seit Monaten von der bayerischen Ermittlungsbehörde abgehört. Auch zahlreiche private Daten zu Gesprächen, Schriftwechseln und Aufenthaltsorten mehrerer Unterstützerinnen und Unterstützer der „Letzten Generation“ wurden demnach erfasst.
Ob die Überwachung noch anhält, ist bislang unklar. Nach Berichten der Süddeutschen Zeitung (SZ) sind 13 Telefonanschlüsse betroffen. Darunter ist auch der Anschluss der 26-jährigen Studentin Carla Hinrichs.
Erst vor wenigen Wochen waren im Zuge einer Hausdurchsuchung bewaffnete Beamte in die Wohnung der Sprecherin der „Letzten Generation“ eingedrungen. Nun erfuhr sie, dass die bayerischen Ermittlungsbehörden seit Monaten ihre privaten Telefonate protokollierten, ihre Mails in Echtzeit mitlasen und sogar verfolgten, wo sie sich aufhielt.
„Ich führe ein super privates Telefonat mit meiner Mutter; und da hört einfach jemand mit und protokolliert“, sagte Hinrichs. „Das ist so verstörend. Warum werde ich verfolgt? Ich will doch nur, dass unsere Regierung uns alle schützt!“
Auch die 22-jährige Imke Bludszuweit wird wohl abgehört. „Es ist absurd und erschreckend, welche Geschütze hier aufgefahren werden, um friedlichen Protest zu unterdrücken“, erklärte sie. „Wir schlagen Alarm, weil die Regierung gerade die Verfassung bricht und das unsere Demokratie bedroht. Ich wünsche mir von Herzen, dass auch nur annähernd so viele Ressourcen für die Bekämpfung der Katastrophe aufgewendet werden würden, die gerade vor unseren Augen eskaliert, wie für die Versuche, den Alarm verstummen zu lassen.“Den SZ-Recherchen zufolge habe ein Ermittlungsrichter die Überwachung des Presse-Telefons als „erforderlich und unentbehrlich“ bezeichnet – nur wenige Wochen, nachdem das Bayerische Landeskriminalamt eingestand, dass die Gesprächsinhalte nicht über das hinausgingen, was ohnehin öffentlich in Pressemitteilungen oder -konferenzen kommuniziert wird.
„Beifang“ der Abhöraktion ist höchstwahrscheinlich auch mindestens ein Marburger Journalist geworden. Er hatte die Berliner Rufnummer angewählt, die die Aktiven für Pressekontakte angegeben hatten und die auf der Liste der überwachten Anschlüsse steht. „Das war ein unverhältnismäßiger und damit wohl auch verfassungswidriger Angriff auf die Pressefreiheit“, erklärt das Mitglied der Deutschen Journalistenunion (DJU).
Durch die Ermittlungen wolle man „Strukturen erhellen“, begründen die Behörden ihre Maßnahme. Doch seit dem 19. Februar 2023 sind in einem öffentlichen Wiki Strukturen, Strategie und Ziele der Letzten Generation übersichtlich nachzulesen. Unterstützende der Letzten Generation stehen mit Namen und Gesicht zu ihrem Protest, erscheinen regelmäßig vor Gericht und stellen sich dort Freisprüchen und Verurteilungen gleichermaßen.
Wer genau in welchem Ausmaß von der Überwachung betroffen ist, ist unklar. Der 64-jährige Winfried Lorenz fasste die allgemeine Stimmung innerhalb der Bewegung zusammen: „Wir alle wussten von Beginn an, dass wir mit starkem Gegenwind rechnen müssen. Aber welches Ausmaß das Vorgehen gegen uns annehmen würde, war uns nicht klar. Wir sind doch hier in Deutschland, und zwar im 21. Jahrhundert. Schwer zu sagen, was als nächstes kommt. Was aber feststeht: Wenn wir nicht endlich umlenken, wird unsere Gesellschaft an den Strapazen der Klimakatastrophe zerbrechen. Um den Kollaps zu verhindern, werden wir weiter auf die Straße gehen, friedlich und entschlossen, begleitet von Sorgen und Angst, aber auch voll Hoffnung und Mut.“
Die Bayerischen Behörden sind wiederholt mit fragwürdigen Ermittlungsmethoden und Befugnisüberschreitungen aufgefallen. Nach der Sperrung der Website der Letzten Generation hatten sie sie beispielsweise in einem “Warnhinweis” als kriminelle Vereinigung bezeichnet. Dabei hat das LKA rechtsstaatliche Prinzipien missachtet.
Auch die Berliner Justiz steht derzeit in der Kritik, da Prozesse der Letzten Generation von nun an in Schnellverfahren gesondert behandelt werden sollen. Geschäftsführer Lukas Theune vom Republikanischen Anwältinnenverein (RAV) sprach von „einer Art Sondertribunal“ und einer „Form von Sonderjustiz“.
In der offiziellen Stellungnahme des RAV heißt es, Es dränge „sich der Eindruck auf, dass bewusst eine Sonderzuständigkeit für die Letzte Generation geschaffen wurde: Dieser Eindruck speist sich aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Regierungswechsel, hausinternen Gesprächen, den gleichzeitigen Änderungen der Geschäftsverteilungspläne von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Tiergarten – sowie dem Umstand, dass de facto nur die Fälle der Letzten Generation von dieser Änderung umfasst sind.“
Ungeachtet dessen wird die Letzte Generation ihren Protest auch in der nächsten Woche in ganz Deutschland auf die Straße tragen, um die Bundesregierung auf den Boden der Verfassung zurückzuholen. Bürgerinnen und Bürger treiben die Behörden durch derartige Überreaktionen geradezu in die Arme der sogenannten „Letzten Generation“, da die Menschen nun nicht nur für wirksamen Klimaschutz auf die Straße gehen müssen, sondern auch für Rechtsstaat und Demokratie.
* pm: Letzte Generation
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