Eine Deutsch-polnische Forschungsgruppe hat eine Struktur mit großem biotechnologischem Potential entdeckt. Dabei formt ein Bakterienenzym ein molekulares Stromkabel.
Der Forschungsgruppe um die Marburger Biochemiker Dr. Jan Schuller und Prof. Dr. Johann Heider sowie Prof. Dr. Maciej Szaleniec aus Krakau ist es gelungen, mittels kryogener Elektronenmikroskopie die Struktur des Enzyms „AOR“ aus dem Bakterium Aromatoleum aromaticum aufzudecken. „Das Bakterium nutzt dieses Molekül, um umweltschädliche Aldehydverbindungen abzubauen“, erklärte Schullers Mitarbeiter Fidel Ramírez-Amador. „Es besitzt im Gegensatz zu anderen Enzymen mit ähnlicher Funktion aber auch die Fähigkeit, die biotechnologisch hoch interessante Rückreaktion zu katalysieren und somit Bioalkohole herzustellen.“
Er ist einer derEr ist Leitautoren des Fachaufsatzes. Über seine Ergebnisse berichtet das Team im Wissenschaftsmagazin „Science Advances“. Es entdeckte, dass dieses Enzym ein Stromkabel durch die Zelle bildet.
„Damit erhöht das Enzym sowohl seine Stabilität als auch seine Effizienz deutlich“, sagte Szaleniecs Mitarbeiterin Agnieszka Winiarska. Sie ist eine weitere Leitautorin.
„Das Enzym verwendet eine Kette von Elektronen-leitenden Cofaktoren in einer filamentösen Anordnung“, legte Schuller dar, der die Forschungsarbeit zusammen mit Heider leitete. „Die meisten ähnlichen Metalloproteine dieser Familie weisen eine starke Sensibilität gegenüber Sauerstoff auf, was eine biotechnologische Anwendung stark erschwert“, ergänzte Heider. „Dagegen zeigt AOR aus Aromatoleum aromaticum eine hohe Sauerstoffstabilität, die vermutlich durch seine außergewöhnliche molekulare Architektur begründet ist.“
Aromatoleum aromaticum vermag organische Schadstoffe abzubauen und gilt somit als guter Kandidat für biotechnologische Anwendungen. „Wie viele andere Mikroorganismen erweitert dieser Stamm das Repertoire seines Stoffwechsels, indem er Übergangsmetalle in Enzyme einbaut, zum Beispiel Wolfram“, erläuterte Schuller. Das gilt auch für das in dieser Studie untersuchte Enyzm der Aldehyd-Oxidoreduktase (AOR).
Dieses Wolfram-haltige Enyzm katalysiert die Elektronenabgabe von Aldehydverbindungen. „AOR-Enzyme sind die einzigen bekannten Biokatalysatoren, die auch die thermodynamisch schwierige Umkehrreaktion bewerkstelligen, wenn geeignete Elektronenspender zur Verfügung stehen“, führte Fidel Ramírez-Amador aus. „Obwohl AOR-Enzyme so hochentwickelte Reaktionen durchführen können, ist unser Wissen über ihre Struktur und den Mechanismus ihrer Funktion bisher spärlich“, konstatierte Heider.
„Überraschenderweise fanden wir, dass sich mehrere Enzymuntereinheiten zu kurzen Filamenten aneinanderreihen“, berichtete Ramírez-Amador. Diese Untereinheit ähnelt dem eisen- und schwefelhaltigen Protein Ferredoxin, das beim Elektronentransport mitwirkt.
„Die entstehende Struktur gleicht somit einem elektronenleitenden Nanodraht“, erklärte Schuller. „Der filamentöse Kern des Enzyms wird von den katalytischen Untereinheiten umhüllt wie ein Kupferkabel von einem Plastikmantel. Diese Architektur schirmt den Nanodraht ab und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, den Komplex mit vielen Elektronen aufzuladen.“
Die Forschungsergebnisse kamen in interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen dem Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) der Philipps-Universität und Prof. Dr. Maciej Szaleniec vom Jerzy-Haber-Institut für Katalyse und Oberflächenchemie der Polnischen Akademie der Wissenschaftenmit seiner Mitarbeiterin Agnieszka Winiarska zustande. Die molekulare Zell- und Mikrobiologie zählt zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität Marburg.
Schuller leitet eine Emmy-Noether-Gruppe am Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und am Fachbereich Chemie der Philipps-Universität. Vor Kurzem erhielt er einen ERC Starting Grant des europäischen Forschungsrats. Heider lehrt Mikrobielle Biochemie am Marburger Fachbereich Biologie.
Die Daten für die kryogene Elektronenmikroskopie wurden von Simone Prinz vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main aufgenommen. Die Europäische Organisation für Molekularbiologie, die Europäische Gemeinschaft, das Nationale Wissenschaftszentrum Polens und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten die wissenschaftliche Arbeit finanziell.
* pm: Philipps-Universität Marburg