Draußen vor der Tür: Wolfgang Borchert drückt das Unsagbare aus

„Mit so viel Gas hätte man einen Monat kochen können“, bedauert Frau Kramer. Sie ist in die Wohnung der Beckmanns eingezogen.
Nun steht der Sohn der früheren Bewohner des Hauses draußen vor der Tür. Aber sie lässt ihn nicht herein. Beckmann bleibt „Draußen vor der Tür“.
Die Geschichte des Kriegsheimkehrers hat Wolfgang Borchert 1947 eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Sein einziges Drama „Draußen vor der Tür“ hat Thomas Bockelmann für das Hessische Landestheater Marburg (HLTM) inszeniert. Am Donnerstag (6. April) feierte es Premiere im „Großen TaSch“.
Die Uraufführung hat der Autor selbst nicht mehr miterlebt. Mit nur 26 Jahren starb Borchert einen Tag vor der Premiere am 21. November 1947 in Hamburg. In nur acht Tagen hatte der – von einer schweren Krankheit bereits gezeichnete – Schriftsteller den Text unter tatkräftiger Mithilfe seines Vaters zu Papier gebracht.
Eindringlich und eindrucksvoll schildert er darin die Erfahrungen, die der körperlich und seelisch verwundete Soldat nach Kriegsende macht. Bei seiner Frau trifft er einen anderen Mann. Als eine andere Frau ihn einlädt in ihre Wohnung, erscheint dort ihr – ebenfalls aus dem Krieg heimgekehrte – Ehemann.
Beckmann möchte die Verantwortung zurückgeben, die der Oberst ihm im Stellungskrieg übertragen hat. Doch der Oberst lacht ihn nur aus. Die Wahrheit will keiner hören.
Der Varietédirektor erklärt ihm, dass die Menschen nur Unterhaltung wollen. Die Wahrheit stört da nur. Beckmann begreift, dass für sie wie für ihn kein Platz ist in diesem zerstörten Land, das den Krieg wie auch die Verantwortung dafür nur verdrängen will.
„Das Stück hat eine Schwäche“, hatte Regisseur Bockelmann beim Einführungsgespräch erklärt. „Es behandelt den Holocaust nicht.“
In diesem Punkt hat sich Bockelmann allerdings geirrt. Die Aussage der Hausbewohnerin, die das Gas beklagt, mit dem sich die Eltern von Beckmann umgebracht haben, ist eine deutliche Aussage zur Shoa. Borchert hat sie in seiner typischen Umschreibung der Greuel des Kriegs mit Alltäglichem deutlich zur Sprache gebracht.
Borchert war der absolute Meister der Kunst des Umschreibens als überaus wirkungsvolle Erwiderung zum damaligen Zeitgeist der kollektiven Verdrängung. Das hat er in „Draußen vor der Tür“ genauso großartig zum Ausdruck gebracht wie in seiner berührenden Kurzgeschichte „Die Küchenuhr“. Auf geniale Weise hat er durch Umschreibung und Auslassung des Unsagbaren die Greuel des Kriegs noch berührender auszudrücken vermocht, als das eine direkte Beschreibung auch nur annähernd hätte ausdrücken können.
„Draußen vor der Tür“ erfasst die Nöte und Irrwege der Nachkriegsgesellschaft, wo alle mit Schuld und Verstrickung umgehen mussten und das doch kaum konnten angesichts der Mörder, die mitten unter ihnen waren. Darum lohnt sich ein Besuch der gelungenen Inszenierung Bockelmanns unbedingt. Die Elbe hat Bühnenbildnerin Mayke Hegger auf die Bühne gestellt durch ein Wasserbecken, aus dem Beckmann pitschnass heraussteigt wie ein Fisch, der stumm bleibt auf die vielen Fragen der beginnenden Nachkriegszeit.
Sven Brormann verkörpert den Beckmann in seiner Naivität und Verzweiflung ebenso wie in seiner Hoffnung und der Einsicht, dass die Zeit nach dem Krieg noch lange keinen Frieden bringt. Fanny Holzer und Charlotte Ronas stehen ihm in ihren schauspielerischen Leistungen und ihrer Wandlungsfähigkeit ebensowenig nach wie Georg Santner und Jürgen Wink. Zu Recht erhielten sie alle am Ende den langanhaltenden Applaus des Premierenpublikums.
Gerade zu Zeiten von Krieg und Katastrophen hat Borcherts Theaterstück, das ursprünglich als Hörspiel des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) in Hamburg ausgestrahlt worden war, nichts von seiner beklemmenden Strahlkraft verloren. Dem HLTM gebührt Dank für die Initiative, diesen Klassiker der sogenannten „Trümmerliteratur“ wieder ans Licht der Theaterwelt gehoben zu haben. Alle sollten die Aufführungen dieses beeindruckenden Meisterwerks nicht versäumen und keinesfalls „Draußen vor der Tür“ des Großen TaSch bleiben.

* Franz-Josef Hanke

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