„Wir tragen die Verantwortung, die Erinnerung an die Opfer als lebende Erzählung zu erhalten.“ Diese Forderung prägte die Besinnungsstunde zum 9. November.
Anlässlich der Novemberpogrome von 1938 veranstalteten der Magistrat der Universitätsstadt Marburg, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Jüdische Gemeinde am Mittwoch (9. November) wieder die alljährliche Besinnungsstunde im Garten des Gedenkens. An der Synagogen-Gedenkstätte wurde der jüdischen Menschen gedacht, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt wurden. Die Gedenkenden versammelten sich vor Ort an der Universitätsstraße.
„Der 9. November ist ohne jeden Zweifel einer der zentralen Tage der deutschen und auch der Marburger Geschichte“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies während der Besinnungsstunde, zu der sich die Menschen am 9. November im Garten des Gedenkens versammelten. „Was hier an jenem Tage 1938 geschah, was Marburger*innen anderen Menschen antaten, war ein Verbrechen, so geschichtsvergessen wie grausam. Vorurteile, Hass und die feige Suche nach einem Sündenbock, gipfelten in Gewalt.“
Bereits vor Beginn der Besinnungsstunde gab es die Möglichkeit, den ganzen Tag über Blumen und Kerzen im Garten des Gedenkens niederzulegen oder aufzustellen, um ganz persönlich und individuell im Stillen zu erinnern. In seiner Rede verlas OB Spies Augenzeugenberichte, die von den Ereignissen der Pogromnacht erzählen.
„Diese Berichte sind schwer zu ertragen und doch nötig“, erklärte Spies. „Sie lassen uns den Hass, den Schmerz, die Angst, Not und Brutalität spüren und deshalb können wir uns ihnen nicht entziehen, ihnen nicht entrinnen. Und das ist gut so, denn es liegt in unserer Verantwortung, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, dass die Erinnerung an die Opfer nicht zu abstrakten Zahlen verkommt, sondern als lebende Erzählung erhalten bleibt.“
Sebastian Sack von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit betonte: „Diejenigen, die in jener Nacht 1938 Gewalt und Hass erfahren haben, waren Brüder und Schwestern, Mütter und Väter, Töchter und Söhne, Freunde und Nachbarn – kurz: Es waren Menschen und damit ein Teil von uns. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Täter*innen und Mitläufer*innen aus der Mitte unserer Gesellschaft kamen.“
Sack bekräftigte, wie wichtig es sei, nicht wegzusehen und sich klar gegen Hass, Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung zu positionieren, nicht zu schweigen. Schließlich habe es damals so häufig geheißen „Ich habe von nichts gewusst“. Der Tag des 9. Novembers sei „ein Tag der Mahnung und der Warnung, dass sich das niemals wiederholt“.
Den Gedenkkranz der Stadt Marburg legten Spies und Sack gemeinsam nieder und gedachten der Opfer in Stille. Im Anschluss sprachen Ehrenbürger Amnon Orbach gemeinsam mit Thorsten Schmermund die jüdischen Gebete „El male rachamim“ und „Kadisch“. Die Gebete für die Verstorbenen verlas Schmermund auch in deutscher Übersetzung.
Die Zettelkästen wurden in diesem Jahr von dem Fachdienst Kultur der Stadt Marburg bestückt und von Christian Ahlborn vorgetragen. In diesem Jahr thematisierten die eingereichten Beiträge den Garten des Gedenkens selbst und seine Funktion als Ort der Erinnerung.
So lautet einer der Beiträge: „Wenn ich was über Juden erfahren will, gehe ich ins Museum oder auf den Friedhof. Das habe ich schon etliche Male gehört. Und das greift hier nicht. Hier geht es nicht nur um tote Juden. Hier war ein Ort jüdischen Lebens und heute ist es ein lebendiger Ort, ein Aufenthaltsort, ein Mitmach-Ort und ein über rein historisierendes Gedenken hinausweisender Ort. Das macht ihn besonders.“
ie musikalische Begleitung der Besinnungsstunde übernahm der Musikleistungskurs der Martin-Luther-Schule. Die Besinnungsstunde ist ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur in Marburg. Zahlreiche Teilnehmende finden sich normalerweise alljährlich am 9. November an der Synagogen-Gedenkstätte ein, um an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt zu erinnern.
Um den 9. November 1938 wurden in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand gesteckt, zerstört oder beschädigt. Das Ziel der Besinnungsstunde ist, dieses Geschehen und die Opfer nicht zu vergessen.
* pm: Stadt Marburg