Unmöglich evangelikal: Ringlokschuppen soll an fusionierte Bietergemeinschaft gehen

Die Schneider-Gruppe und die Christmann + Pfeifer DLS GmbH & Co. KG sollen den historischen Ringlokschuppen übernehmen. Das städtische Auswahlgremium empfiehlt dem Stadtparlament nun ihr gemeinsam überarbeitetes Konzept.
Die Universitätsstadt Marburg will den in Bausubstanz gefährdeten Lokschuppen des Marburger Waggonhallenareals passend zum kulturellen Umfeld erhalten. Deshalb hat das breit aufgestellte Auswahlgremium am Donnerstag (7. September) auf Einladung der Stadt erneut über das Konzept und die Gebote für das denkmalgeschützte Gebäude beraten.
Die beiden nun empfohlenen Unternehmen hatten im Rahmen der städtischen Konzeptausschreibung zunächst konkurrierende Gebote eingereicht. Dabei gingen sie im Mai als Sieger aus der ersten Runde des Verfahrens hervor. Die erfolgreichen Einzelkonzepte des Optik-Unternehmens Schneider sowie des Unternehmens C+P mit Kreativunternehmen aus Marburg waren beide vom Auswahlgremium bei nur geringem Abstand als besonders geeignet angesehen und dem Stadtparlament empfohlen worden.
Zur Bietergemeinschaft von Schneider hatte damals noch der Christus-Treff gehört. Nun scheidet er als Bieter oder Eigentümer aus.
Jetzt arbeiten die beiden Erstplatzierten Schneider und C+P als Bietergemeinschaft „Drehscheibe Lokschuppen GbR“ zusammen. Im gewählten Verfahren ist die konzeptionelle Ausrichtung und nicht der Preis das ausschlaggebende Kriterium für die Vergabe.
Die Stadt hatte das Gebäude von der Bahn in einem denkbar schlechten baulichen Zustand übernommen und notwendige Sicherungsarbeiten durchgeführt. Derzeit besteht dringender Handlungsbedarf, denn erforderlich sind für den gewünschten Erhalt Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe.
Laut Baudirektor Jürgen Rausch haben Bund und Land die für die Kommunen verfügbaren Mittel des Städtebauförderprogramms so stark ausgedünnt, dass eine Sanierung in Eigenregie nicht möglich ist. Kommunen, die denkmalgeschützte Gebäude erhalten wollen, greifen laut Rausch deshalb sehr oft darauf zurück, die Gebäude im Rahmen der Stadtsanierung mit dem Ziel anzukaufen, sie zum Erhalt und zur Standortentwicklung weiter zu veräußern. Das sei somit keine Marburger Besonderheit.
Die Schneider Gruppe sowie C+P hatten sich noch im laufenden Auswahlverfahren für eine Kooperation entschieden und die Stadt Marburg gebeten, ihren Vorschlag entsprechend überarbeiten zu können, um bestehende Wünsche und Forderungen verschiedener Interessengruppen in der Stadt zu integrieren sowie laut Schneider „das Beste aus zwei Konzepten zu einem noch besseren Dritten zusammenzufügen“. Aufgrund des Anliegens der neuen Kooperation hatte die Stadtverordnetenversammlung (StVV) im Juni ihren Beschluss über die Vergabe vertagt. Die Möglichkeit zur Nachbesserung wurde den beiden Erstplatzierten sowie auch den beiden weiteren Bewerbern – dem Förderverein Lokschuppen und der Kling GmbH – mit Frist bis Freitag (25. August) eingeräumt.
Im Auswahlgremium sind neben Magistrat und Verwaltung im Rahmen der Bürgerbeteiligung Anwohner, Nutzer, fachkundige Beiräte und alle Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung direkt beteiligt. Sie beurteilten im Mai vier vorliegende Gebote nach Kriterien wie Denkmalschutz, Architektur, Gestaltung, städtebaulichem Konzept und Art der Nutzung, nach Wirtschaftlichkeit, Realisierungszeitraum und energetischem Konzept (85 Punkte). In einem zweiten Schritt kam mit 15 Punkten der Preis des Angebots hinzu.
Beim Termin am Donnerstag waren vom Auswahlgremium somit nur die Aspekte neu zu bewerten, in denen sich Veränderungen zu den ursprünglich eingereichten Angeboten ergeben hatten. Dabei lagen drei Gebote vor.
Das jetzt als einziges empfohlene Konzept „Drehscheibe Lokschuppen GbR“ umfasst dabei die Sanierung des Lokschuppens durch Schneider und des benachbarten Werkstattgebäudes durch C+P und Schneider.
Mit einem „Kultur-, Kreativ- und Gründerzentrum soll der Lokschuppen als zentraler (Bahn)Knotenpunkt aufgegriffen und für die Marburger Bevölkerung und darüber hinaus entwickelt werden“, erklärt das von Schneider und C+P gemeinsam überarbeitete Konzept. Die Bietergemeinschaft rechnet mit Kosten von rund 12,6 Millionen Euro. 6,6 Millionen davon entfallen auf die „Revitalisierung des Ringlokschuppens“ und 6 Millionen Euro auf ein geplantes Hotel im Bereich des benachbarten Werkstattgebäudes.
Der Denkmalschutz spielt im überarbeiteten Konzept eine hervorgehobene Rolle: Das Historische soll harmonisch mit dem Neuem ergänzt werden, so das Konzept, das von einer „wertschätzenden Sanierung“ spricht. Fassade, Dachfläche und die Innenraumdimensionen des Lokschuppens werden dabei laut Bietergemeinschaft als Ausdruck der ehemaligen Nutzung durch wenige Eingriffe ergänzt und weitgehend erhalten. Baulich rückt die ursprünglich von C+P eingebrachte, vermietbare Fläche für Start-ups, Marburger Kreativunternehmen und Büros innerhalb des Lokschuppens nun mehr in Richtung Werkstattgebäude. Die Idee: Der 1700 Quadratmeter große Bereich befindet sich damit direkt gegenüber von Waggonhalle und Rotkehlchen, was die Kooperationsmöglichkeiten passend zum kulturellen Umfeld verbessert. Gläserne Kuben mit offenen und geschlossenen Arbeitsbereichen, Ateliers und Co-Working-Spaces können im niedrigschwellig sanierten Bereich des Kreativ-
und Gründerzentrums individuell nach Bedarf angelegt werden und in Marburg Raum für Neugründungen und einen kreativen Austausch schaffen. Die Gänge zwischen den Kuben nehmen die vorhandenen Schienenverläufe in Richtung Drehscheibe auf, die Stahlkonstruktionen folgen der Struktur der Lokschuppensegmente.
Der von Schneider geplante große Veranstaltungssaal mit jetzt 530 statt bisher 650 Plätzen wird im Gegenzug und im Unterschied zum bisherigen Konzept im Lokschuppengebäude in Richtung Kletterhalle verlagert. Damit entzerrt sich die Situation auf dem Areal.
Während der Veranstaltungen entstehen so im Eingangsbereich weniger Überschneidungspunkte mit der Waggonhalle. Der Eingang wird zugleich besser vom Parkplatz aus erreichbar.
Ein dreigeschossiger Einbau soll für den Veranstaltungsbereich – von außen leicht zurückgesetzt zur Bestandsfassade – erfolgen. Um den Einbau herum bleiben die historische Lokschuppenkonstruktion in besonderer Weise mit Original-Höhe, -Tiefe und -Länge sowie mit denkmalpflegerisch sanierter Dachträgerkonstruktion und sichtbarer Klinkeroptik erlebbar. Der Veranstaltungsbereich soll für non-profit, für kommerzielle sowie für private Personen und Organisationen mit Preisstaffelung – also für gemeinnützige Zwecke vergünstigt – zu mieten sein.
Im Mittelteil des Lokschuppens ist eine Bio-Fairtrade-Gastronomie vorgesehen. Die „Drehscheibe Lokschuppen GbR“ betonte dabei auf Rückfrage, dass man die Angebote und Öffnungszeiten mit dem benachbarten Rotkehlchen abstimmen wolle. Durch das Mehr könnten beide Seiten gewinnen, erklärte Schneider.
Das Werkstattgebäude will die Bietergemeinschaft in seinem Grundriss im Erdgeschoss erhalten. Ein Hotel mit 50 bis 60 Zimmern in den oberen Stockwerken soll die architektonischen Ideen des Lokschuppens aufgreifen. Die Zimmer sind im Budget-Design-Segment (2 Sterne) angesiedelt, um die Infrastruktur passend zur Kultur zu beleben und das knappe Hotelangebot in Marburg zu ergänzen. Vorgesehen sind hier außerdem verschiedene Seminarräume.
„Das sind Räume, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass auch ein angemessen großer Bereich barrierefrei für die Ortenberggemeinde zur Verfügung gestellt werden kann“, ergänzte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies am Donnerstag. Für die bisherigen Mieter des Werkstattgebäudes – eine Schreinerei und eine Künstlerwerkstatt – sollen als Ersatz dem Zweck entsprechende Räume im Umfeld des Lokschuppens geschaffen werden, versprach die Bietergemeinschaft.
Über der historischen Drehscheibe des Lokschuppens entfällt im Gegensatz zur ursprünglichen Planung von Schneider der vorgesehene Glasanbau. Sie bliebe damit als Freifläche entsprechend der Identität der Bahnanlage bewahrt.
Auch eine Rücktrittsklausel gegenüber der Stadt ist im gemeinsamen Angebot von Schneider und C+P nicht mehr vorgesehen. Das verbesserte Angebot gilt für das Gesamtensemble aus Lokschuppen und Werkstattgebäude.
Gleichzeitig hat der Christus-Treff die Bietergemeinschaft verlassen. Er will für sonntägliche Gottesdienste den Veranstaltungsbereich und Teile des zum Hotel erweiterten Werkstattgebäudes für Kinderbetreuung anmieten. An allen anderen Tagen steht der Eventbereich für andere Nutzer offen.
Auch die bereits an Mietflächen von C+P interessierten Ankermieter der Marburger Kreativunternehmen sind laut „Drehscheibe Lokschuppen GbR“ in das Konzept integriert. Sie erhalten den ersten Zugriff.
Als Baubeginn nennt die Bietergemeinschaft, die laut Schneider langfristig Träger bleiben will, bei einem Zuschlag durch die Stadt den Sommer 2018. Abgeschlossen sein könne die Sanierung 2020.
Für Fahrräder und Autos sollen in Kooperation mit den anderen Nutzern des Geländes zusätzliche Stellplätze geschaffen werden. Vorgeschlagen werden auch Parkplätze für Carsharing sowie Elektroladesäulen. Abstimmen möchten das die Bieter im Rahmen eines Gesamtverkehrskonzepts mit der Stadt.
In einer Magistratsvorlage werden für die Beratungen des Bauausschusses und im Parlament nun das nach Punkten eindeutige Votum für die gemeinsame Bietergemeinschaft „Drehscheibe Lokschuppen“ sowie der Entscheidungsprozess im Auswahlgremium zusammengefasst. Ein weiteres Gebot wird nicht empfohlen. Die Bietergemeinschaft blieb am Donnerstag stets an erster Stelle.
Die Nutzer des Waggonhallenareals beteiligten sich zum Bedauern des Magistrats nicht am Endvotum im 24-köpfigen Gremium, sondern forderten nach ausgiebigen Beratungen nun erneut ein Moratorium. Man solle ein umfassendes, neues Bürgerbeteiligungsverfahren eröffnen, lautete ihre Position.
Baudirektor Rausch verwies dagegen noch einmal darauf, dass gerade das Verfahren der Konzeptausschreibung ja von Beginn an die Beteiligung beinhaltet habe und dafür überregionales Lob erhält. Auf dieses Verfahren hatten sich der Magistrat und die Stadtverordneten gemeinsam geeinigt.
Nach zehn Jahren der Ideensammlung mit Bürgerbeteiligung habe man jetzt die Chance, zu einem Ergebnis zu kommen, erklärte dazu auch Spies. „Wir haben keine Zeit mehr, weil sonst der ganze Schuppen zusammenfällt“, unterstrich die Dringlichkeit des Handelns auch Bauamtsleiter Rausch.
„Ich denke, das Votum schafft für die Stadtverordnetenversammlung gute Voraussetzungen, um zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen, mit dem wir das wunderbare Denkmal Ringlokschuppen erhalten können“, dankte Oberbürgermeister Spies im Anschluss an die Beratungen dem Auswahlgremium. Die Entscheidung über die Vergabe liegt beim Stadtparlament, das über die Empfehlung des Auswahlgremiums noch im September beraten will.

* pm: Stadt Marburg

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