Mini-Computer: Forscher entwickeln Sprachausgabe für Alltagsgeräte

Sprechende Computer für Alltagsgegenstände entwickeln Wissenschaftler der Philipps-Universität. Sie sollen Blinden und Sehbehinderten die Displays von Haushalts- und Alltagsgeräten zugänglich machen.
Rund 1,2 Millionen blinde und stark sehbehinderte Menschen leben in Deutschland. Diese Personen können Informationen, die durch Ziffern- und Buchstabenanzeigen wie LED-Displays ausgegeben werden, nicht erfassen. Das betrifft vor allem zahlreiche Gebrauchsgegenstände wie elektronische Küchengeräte.
Um dieser Personengruppe solche Gegenstände und Geräte zugänglich zu machen, entwickeln Prof. Dr. Martin Koch und sein Team von der Arbeitsgruppe „Experimentelle Halbleiterphysik“ der Philipps-Universität eine – individuell auf den jeweiligen Gebrauchsgegenstand zugeschnittene –
Sprachausgabe. Dieser Anzeige-Sprachausgabe-Konverter (ANSPRAKON) liest die nötigen Gebrauchsinformationen ab und erschließt damit Blinden und Sehbehinderten das Gerät. „Wir werden mit diesem Verfahren Blinden und Sehbehinderten zahlreiche Gebrauchsgegenstände des Alltags überhaupt erst verfügbar machen“, zeigte sich Koch überzeugt.
„Wir freuen uns über diese Initiative aus der Philipps-Universität“, betonte BliStA-Direktor Claus Duncker. „Kaffee kochen, ein Menü zubereiten, einen Kuchen backen – auch Alltagstätigkeiten zählen zu einer selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung. Unsere Rehalehrer schulen daher blinde und sehbehinderte Menschen darin, Tätigkeiten in häuslichen Bereichen eigenständig zu bewältigen. Immer wieder kommt man dabei durch technische Entwicklungen an Grenzen. LED-Displays gehören zu den Barrieren, die blinde Menschen bislang alleine einfach nicht überwinden können.“
Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt rund 96.000 Euro über eineinhalb Jahre. Im Projektrahmen werden 20 verschiedene Haushaltsgeräte mit einem ANSPRAKON ausgestattet. Beteiligt an dem Projekt sind die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) und der Verein rechenKRAFT.net.
Damit der ANSPRAKON die Statusinformationen an Gebrauchsgegenständen auch tatsächlich auslesen und ausgeben kann, sind im Groben drei Schritte nötig: Über eine Webcam direkt am Gegenstand werden die Informationen abgelesen, ein Einplatinen-Computer analysiert sie und gibt sie über eine Sprachausgabe wieder. Dafür muss für jeden Gebrauchsgegenstand auch ein individuelles Gehäuse mittels CAD-Zeichnung entworfen und per 3D-Drucker produziert werden, in dem die ANSPRAKON-Komponenten auf dem Gegenstand aufliegen.
In einem zweiten Schritt wird das Team um Koch eine Datenbank auf Open-Source-Basis anlegen, die im Projektrahmen erstellte CAD-Zeichnungen, Software, Bauanleitungen und Fotos frei zugänglich machen wird. Das ist die Grundlage für Privatpersonen sowie Kleinere- und Mittelständige Unternehmen (KMUs), ANSPRAKON für weitere Gebrauchsgegenstände zu produzieren.
An der Philipps-Universität studieren rund 150 blinde beziehungsweise sehbehinderte Menschen. Das ist bundesweit Spitze.
Als Beitrag zum barrierearmen Studium hat die Marburger Universität bereits 1987 eine Servicestelle für behinderte und chronisch kranke Studierende eingerichtet. Zudem werden die Universitätsgebäude mit barrierefreier Beschilderung in Brailleschrift ausgestattet.
In der Lehre werden Braille-Drucker und Braille-Displays eingesetzt. Außerdem gibt es eine Sprachausgabe am Computer und mündliche Prüfungen statt Klausuren für Studierende mit eingeschränkter Sehkraft. Eine weitere Marburger Besonderheit ist der bundesweit einmalige Weiterbildungs-Masterstudiengang „Blinden- und Sehbehindertenpädagogik“ in Kooperation mit derBliStA. * pm: Philipps-Universität Marburg

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