Bistro Caveau: Vor 40 Jahren eine Tropfsteinhöhle

Von 1979 bis 1982 war das „Caveau“ mein Stammlokal. Damals war diese Kellerkneipe eine echte Tropfsteinhöhle.
Im Herbst 1978 habe ich nach meiner Rehabilitation an der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) mein Jurastudium an der Philipps-Universität begonnen. Bald schloss ich mich einer der vier Fachbereichsgruppen an. Sie nannte sich „Unabhängige Demokratische Initiative“ (UDI).
Jede Woche trafen wir uns an einem Abend in der Cafeteria des Savignyhauses, um unsere Vertreter im Fachbereichsrat und der Fachschaft zu instruieren. Danach gingen wir zusammen ins „Caveau“. Als sich 1980 die Fachschaftsgruppe „Das Plenum“ von der UDI abspaltete, gingen wir trotzdem weiterhin gemeinsam mit den Aktiven der UDI nach den sitzungen der beiden Fachschaftsgruppen ins „Caveau“.
Das „Caveau“ befindet sich in einem historischen Fachwerkhaus am Hirschberg. In dem Gebäude „Hirschberg 8“ war vor 40 Jaahren oben das „Bistro Batteau“ und im Gewölbekeller unten die Kneipe „Caveau“. Heute heißt das gesamte Lokal „Bistro Caveau“.
Im Erdgeschoss an der – steil zur Rückseite des Rathauses hin – ansteigenden Pflastersteingasse standen vor 40 Jahren Kunstlederbänke an kleinen länglichen Tischen. Dort wurden warme Baguetbrote, Salate und andere kleinere Speisen serviert. Das Publikum war weitgehend studentisch geprägt.
Wir trafen uns aber immer im Gewölbekeller eine Etage tiefer. Dort floss reichlich Bier in die Kehlen der – überwiegend männlichen – Gäste hinein. Dabei sprachen wir über Politik, über Gott und die Welt sowie über das meist staubtrockene Jurastudium.
Auf seiner Webseite wirbt das Caveau mit dem Reim: „Die Zapfer sind tapfer. Die Trinker sind flinker.“
Was die heutige Wirtin Isabel Kühn da online gestellt hat, galt damals in jedem Fall. Wir haben gesprochen und gesoffen. Dabei wurden reichlich Witze gerissen, die aber nicht unbedingt gerissen oder zumindest geistreich sein mussten.
Die besonderheit der allwöchentlichen Treffen im „Caveau“ war damals, dass nach und nach auch einzelne Vertreter der anderen politischen Gruppen am Fachbereich „Rechtswissenschaften“ zu uns stießen. Einzelne Jusos kamen ebenso wie einige Vertreter des Marxistischen Studentenbunds Spartakus“ (MSB) sowie manchmal sogar auch ein Mann vom „Ring christlich-demokratischer Studenten“ (RCDS).
Setzte die Sperrstunde um 1 Uhr nachts unserem Treffen im „Caveau“ ein Ende, gingen wir gelegentlich gemeinsam weiter in den „Alt-Keller“ bei der Elisabethkirche. Dieses Lokal besaß eine „Nachtkonzession“, was beim „Caveau“ nicht der Fall war. Meist waren wir jedoch um 1 Uhr schon so dicht, dass wir uns besser auf den Heimweg machten als auf den über den Marktplatz hinweg und durch Marktgasse, Wettergasse und Steinweg zum „Alt-Keller“.
Zunächst empfand ich das „Caveau“ als gemütliche Bierkneipe. Unseren Stammplatz hatten wir dort in einer Gewölbenische. Dort saßen wir auf gepolsterten Bänken an der Wand um einen großen runden Tisch herum.
Genau darüber befand sich das Männerklo. Zum Wasserlassen stiegen wir also alle immer die Treppe hinauf zur Toilette und danach dann wieder hinab ins Kellergewölbe. Erst nach Monaten ging uns auf, dass die tropfende Flüssigkeit von der Decke in unserer Nische den Fußboden der darüberliegenden Toilette durchdrungen hatte, wo sich abends das getrunkene Bier nicht immer genau in die Pissoirs ergoss.
Es bedurfte weiterer Monate, bis ich gemeinsam mit meiner Lieblingskommilitonin beschloss, dass wir uns lieber bei ihr oder mir daheim treffen und dabei auf Alkohol verzichten sollten. Nach und nach ödeten uns die leeren Phrasen und Witze der meisten anderen Jurastudenten an. Geprägt waren sie zu häufig von Macho-Gehabe und Selbstdarstellungssucht.
Seit mehreren Jahren ist das „Bistro Caveau“ am Hirschberg eine „Spiel- und Sportkneipe“. An der Wand hängen große Flachbildschirme. Dort laufen Fernsehübertragungen von Fußballspielen oder anderen populären Sportereignissen.
Zwischenzeitlich gab es in dem zugehörigen Gewölbekeller alle zwei Wochen die sogenannte „Finstaverne“. Bei völliger Verdunkelung servierten Blinde den sehenden Gästen dann Speisen und Getränke. Ähnliche „Dunkel-Kneipen“ gab es auch in anderen Städten wie die „Unsicht-Bar“ beim „Dialog im Dunkeln“ in Frankfurt oder Hamburg.
Dort bin ich als Blinder aber nie gewesen. Auch die „Spiel- und Sportkneipe“ habe ich nur ein einziges Mal aufgesucht, weil mich Fußball nicht interessiert und mir der Geräuschpegel dabei zu laut und aggressiv war. Dennoch ist für mich das „Caveau“ angesichts meiner persönlichen Erinnerungen eines der legendären Lokale in Marburg.

* Franz-Josef Hanke

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