Auf dem ehemaligen Parkplatz vor der Wagonhalle sehe ich ein graues Parkhaus. „Hello Marburg“ in weißen Buchstaben leuchtet mir auf einem Bildschirm daran entgegen.
Ich stelle mein Fahrrad vor der Waggonhalle ab und höre auf einmal Musik. Ein Mann steht an einem bewegbaren Tisch mit Boxen und spielt Hintergrundmusik von populären Liedern ab, während ein Saxophonspieler die Melodie nachspielt, die eigentlich gesungen wird. Ein Anderer mit einer großen Trommel unterstützt ihn dabei.
Die Menschen, die ankommen wirken begeistert und belustigt von der Musik. Die Musiker sprühen Spaß und Freude aus, Vorfreude auf das volle Programm, dass man am Samstag (14. Mai) und Sonntag (15. Mai) zur Neueröffnung des Ringlokschuppens erleben kann.
Der Lokschuppen ist breites Gebäude mit einer waagerechten Neigung. Wenn man es vom Eingang aus betrachtet, merkt man, dass es viele Ein- und Ausgänge auf beiden Seiten gibt.
Die Halle wurde 1874 gebaut und bis 1989 genutzt. Danach ist sie immer mehr zerfallen.
Mein Vater erzählte, dass er 2004 mit meiner Mutter und mir hier war. Schon damals konnte man nur einen kleinen Teil des Geländes Betreten, da ein großer Teil einsturzgefährdet war.
Als Thomas Schneider 2017 das Gelände kaufte, war der Lokschuppen eine zugewachsene Ruine. Überall in der Wand waren Risse und das Fundament des Gebäudes war nicht sehr tief. Die stützen waren alles andere als stabil.
„Der Zimmerer hat gesagt: Da muss nur mehr Gewicht drauf, dann hält das schon“, berichtet Architekt Bernward Paulick. Das Gebäude wurde provisorisch gebaut, keine Wand glich der anderen, keiner der großen Torbögen hatte denselben Winkel. Da das Gelände der Bahn gehörte, hatten sie keine Baupläne zur Verfügung. „Wir fanden jeden Tag etwas Neues“, berichtet Paulick.
In den letzten fünf Jahren wurde der Lokschuppen von einem Investor renoviert. Hier soll ein neues Gastronomiekonzept umgesetzt werden mit einer Eventhalle, einer Bar, zwei Restaurants, einem Cafè mit selbstgeröstetem Kaffee, einem Coworking-Space und ab 2023 mit einem Hotel.
Hinter der Band entdecke ich den Neubau. Ich weiß im ersten Moment nicht, was ich von ihm halten soll. Der untere Bereich mit Mauern aus alten Ziegelsteine wurde erhalten, doch darüber ragt ein neues viereckiges, scharfkantiges Blechkonstrukt hervor.
Ich gehe in das Gebäude und sehe links die Eventhalle. Sie sieht eindeutig besser aus, als man es von außen erwartet. Sie ist riesig. Vor einer alten Backsteinwand steht eine große Bühne mit moderner Technik und Leinwand.
Es gibt zwei Publikumsbereiche, einmal unten und einmal oben. Während die Wände unten aus alten Backsteinen sind, sind die Wände oben aus einem neuartigem Material, Glas schützt die Zuschauer davor, hinuter zu fallen.
In dem Gebäude sind jedoch nicht viele Menschen. Sie sind draußen auf der Drehscheibe an der anderen Seite des Gebäudes. Von dort hört man eine Band. Also gehe ich dorthin.
Kinder halten ihre Füße in ein künstlich angelegtes Wasserbecken. Die Menschen sind neugierig auf das große Gelände. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, eine solch eine Eröffnung mitzubekommen? In Marburg kommt die Eröffnung eines so großen Areals sehr selten vor.
Die Drehscheibe ist eine Betonplatte im Außenbereich. Sie war und ist das Herzstück des Ringlokschuppens. Alle Bereiche werden hier miteinander verbunden, von überall führt eine Tür hier hin.
Ich gehe aus einer anderen Tür wieder zurück. Dort sehe ich das Metallgebäude von der Seite, es ist ein Klotz aus Stahl mit ein paar Fenstern drin. Von den Backsteinen sieht man nichts mehr.
Ich bin schockiert und frage mich, ob eine Holzfassade nicht besser gewesen wäre. Im Internet sehe ich, dass im ersten Entwurf das gesamte Gebäude aus Backsteinen hätte bestehen sollte. „Hätten sie den Entwurf mal so gelassen“, denke ich.
Investor Schneider, verkauft die schöne Blechfassade später so: „Wir wollten uns an Baustoffen der Zeit orientieren, und das ist Metall und Glas. Wir wollen die Moderne und das Alte verknüpfen“. Aha.
Diese Verbindung von Modern und alt sieht man auch im Coworking-Space. Das ist ein offener Raum mit Tischen und modern gestalteten Möbeln. Die Wände sind jedoch aus alten Ziegeln, an denen noch Graffiti ist.
Der Lokschuppen soll jungen Unternehmern die Möglichkeit geben, ihre Ideen zu verwirklichen.
Die Meinungen gehen weit auseinander. Ein Mann findet die Eröffnung genial, einem anderen fehlt „Das Rotzige, das Andere“. „Das ist halt alles für gehobenes Klientel”, klagt der Dritte. “Ich glaube nicht, dass das hier etwas für jeden ist“.
Die Einrichtung sieht an vielen Stellen gleich aus. Sie ist „modern“, die Stühle und Sessel in den Essbereichen sehen aus wie in einer Lounge.
Das Restaurant ist einzigartig in Marburg. Hier gibt es eine offene Küche mit einem Holzkohlegrill, man kann den Köchen bei der Arbeit zuschauen.
Das Offene passt zum Konzept des Gebäudes, jeder Bereich ist durch Glas getrennt, man fühlt sich wie in einem großen Raum. Alles ist miteinander verbunden.
“Das Alte mit dem Neuen verbinden”, ist das Motto, das sich durch das gesamte Gebäude zieht. Ob die Räumlichkeiten wirklich gebraucht werden, ist eine andere Frage. Besser als eine verwahrloste Ruine ist die Event-Location.
* Luca Mittelstaedt
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