Im Interview: Bühnenautorin Maya Arad Yasur in Marburg

Maya Yasur

Intendantinnen Eva Lange (links) und Carola Unser (rechts) mit Autorin Maya Yasur. (Foto: Laura Schiller)

„Das war eine Nacht an die ich mich das ganze Leben lang erinnern werde“, sagt Maya Arad Yasur. Damals wurde ihr klar, dass sie Bühnenautorin werden wollte.

Die Autorin aus Tel Aviv war am Dienstag (3.Mai) zu Gast beim Hessischen Landestheater Marburg (HLTM). Aus Israel angereist war sie, um einer Aufführung ihres Stücks „Amsterdam“ beizuwohnen.

Yasur erzählt von einem ungewöhnlichen Moment, an dem sich ihr weiteres Leben entschied. Als sie ihr Bachelor-Studium in Israel anfing und mit ihren Kursen in Kommunikation und Business eher unglücklich war, unternahm sie eine Reise nach Irland. In Dublin nahm sie an einer Stadtführung zu Oscar Wilde teil. An einem verregneten Tag führte ein Schauspieler sie zu Schauplätzen aus Wildes Stücken und seinem Leben. „Und ich erinnere mich, dass ich mich dann dazu entschied, Business mit Theater zu tauschen“, erklärt sie. „Das ist einfach etwas, was mich antreibt.“ Diese Entscheidung traf sie, obwohl es in Israel oft schwierig ist, künstlerische Berufe auszuüben. „Viele Menschen sehen Kunst als ein Hobby, es ist sehr schwierig davon zu leben, du musst ein bisschen naiv dafür sein.“

Dennoch beschloss sie, Autorin zu werden, trotz der Sorge, damit kein Geld zu verdienen. Nachdem sie ihren Bachelor in Kommunikation und Theater in Jerusalem abgelegt hatte, kam sie nach Amsterdam, um Dramaturgie zu studieren. Als Produktionsdramaturgin in den Niederlanden lernte sie das Theatergeschäft gut kennen, aber sie hatte auch den Vorteil einer gewissen Distanz. Als ihr erstes eigenes Stück auf die Bühne kam, lagen ihre Nerven blank. Die erste professionelle Inszenierung am Nationalen Theater in Jerusalem lief sehr gut. Die erste schlechte Kritik war für sie dann aber sehr hart. Sie hat gelernt, jedem einzelnen Satz in ihren Texten zu 100% Prozent zu vertrauen. Weil wenn man nicht sicher ist, dass der Satz hineingehört, ist das das, was im Endeffekt kritisiert wird. „Und dann wirst du denken, ah, ich wusste es! Ich hätte ihn rausnehmen müssen! Nimm ihn einfach raus. Hab Vertrauen in jedes Wort, und dann ist alles was die Kritiken sagen in Ordnung, weil du die Verantwortung übernommen hast. Du hast darüber nachgedacht, du hast dich dazu entschlossen es für einen guten Grund drin zulassen, und wenn das der Kritiker nicht versteht, ist das sein Problem.“

Bislang wurden Yasurs Stücke in 11 Sprachen aufgeführt. Ihre eigenen Stücke in einer anderen Sprache zu hören ist aber nochmal etwas ganz anderes. Manchmal sei es frustrierend, nicht alles zu verstehen, und die Schauspieler nur schwer beurteilen zu können. Als ehemalige Dramaturgin legt sie jedoch großen Wert auf Elemente wir den Rhythmus und die Choreografie.

„Amsterdam“ hatte schon viele Produktionen. Bei der ersten Aufführung war Yasur sehr aufgeregt, aber je mehr Inszenierungen sie sieht, desto leichter fällt es ihr loszulassen. Jetzt ist sie eher neugierig auf was sie erwartet und findet es gut, überrascht zu werden. Manchmal hat sie auch schon Interpretationen gesehen, die sie für nicht möglich gehalten hätte. Aber sie sagt, „Regisseure finden Hinweise und entscheiden welche Hinweise sie in den Vordergrund stellen“. Jedes Mal lernt sie etwas Neues über ihre Stücke.

In Yasurs Theaterstück „Amsterdam“ geht es um eine schwangere Geigerin, die eine alte Gasrechnung über 1.700 Euro aus dem Jahr 1944 zugestellt bekommt. Sie versucht das Leben als Emigrierte in Amsterdam zu bewältigen und dem Ursprung der Rechnung auf den Grund zu kommen.

Yasur schrieb Amsterdam, als sie schon drei Jahre wieder in Israel lebte und darauf zurückblickte, warum sie Amsterdam verließ. „Es ist im größeren Sinne ein Portrait meiner mentalen Erfahrung. Ich habe keinen Anti-Semitismus erfahren, natürlich habe ich keine Gasrechnung für 1.700 Euro bekommen, und ich war nicht schwanger. Also sind viele Dinge nicht biographisch. Aber selbst der Gedanke schwanger zu werden, nur der Gedanke Kinder zu haben und sie dort großzuziehen, löste den Prozess aus, mental mit meiner Immigrationserfahrung klarzukommen, und hat zu der Entscheidung geführt nach Israel zurückzugehen.“

Jetzt, neun Jahre nachdem sie wieder in Israel wohnt, bereut sie diese Entscheidung manchmal, und denkt oft darüber nach, wieder nach Amsterdam zu ziehen. Aber mit zwei Kindern, die die Sprache neu erlernen müssten, wäre das ein schwieriger Schritt. Wenn sie mit ihrer Doktorarbeit fertig ist, könnte sich diese Frage erneut stellen, Sie sagt, „ich habe mein Leben immer so geführt, mich einfach vom Leben leiten zu lassen“.

Ihr Stück „Amsterdam“ beinhaltet Elemente, die die schwierige Vergangenheit des Holocausts verarbeiten. Ihr Stück in der „Sprache der Täter“ zu sehen, war für Yasur noch nie ein Problem. Sie erzählt, dass die deutsche Sprache in Israel hauptsächlich mit Filmen über den Zweiten Weltkrieg assoziiert wird. Deswegen klang sie für sie früher oft aggressiv oder angsteinflößend. Mittlerweile stehen Sprache und Geschichte für sie allerdings nicht mehr in Verbindung.

Die Niederlande hätten eine andere Auffassung von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Die Niederländer präsentierten vor allem die Narrative des Widerstands gegen die Nazis. Es bestünde vor allem der Glaube, die Niederländer hätten den Juden immer geholfen. Anne Frank sei das Symbol dafür geworden. Selbst die Israelis glaubten, die Niederländer seien immer gut zu den Juden gewesen. Allerdings seien 75% der niederländischen Juden in den Lagern umgekommen. „Es gab eine sehr große Anzahl an Leuten, die den Juden geholfen haben, UND eine große Anzahl an Kollaborateuren“.

Nach dem Krieg seien Juden in den Niederlanden nicht sehr willkommen gewesen. Oft konnten sie nicht in ihre Wohnungen zurück. Yasur berichtet von einer Studentin namens Charlotte van den Bergh, die in einem Archiv die Korrespondenz zwischen den Zurückkehrenden und der Stadt Amsterdam gefunden hat. Von den Juden wurde erwartet, dass sie die Gasrechnungen für die Monaten ihrer Abwesenheit zahlen. Als Yasur diesen Artikel las, wusste sie, wie Amsterdam anfangen wird. Mit einer Gasrechnung, die seit 1944 nicht bezahlt wurde. Denn wenn die Wohnung doch Monate leer stand, wer hat dann das Gas verbraucht?

„Amsterdam“ von Maya Arad Yasur, in Regie von Eva Lange, läuft noch ein letztes Mal am Mittwoch (18. Mai) im Erwin-Piscator-Haus (EPH). Außerdem verriet Yasur, dass sie bald einen Roman veröffentlichen wird. Geschrieben hat sie ihn während ihrer Zeit in Amsterdam.

*Laura Schiller

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