Ein weiteres Tastmodell hat Marburg im Geburtstagsjahr erhalten. Im Maßstab 1 zu 100 stellt es das „Michelchen“ dar.
Gegenüber vom Hauptportal der Elisabethkirche befindet sich das Bronzemodell der Michaelskapelle auf einem Sandsteinsockel am Gehweg. Direkt daneben führt die lange Steintreppe hinauf zu der romanischen Kapelle. Die Treppe dorthin wurde erneuert und hat einen neuen Handlauf erhalten.
Nach dem Modell der Elisabethkirche und weiteren Tastmodellen des Marktplatzes mit dem Rathaus, des Landgrafenschlosses, der 1938 von den Nazis zerstörten Synagoge im „Garten des Gedenkens“, der Firmenzentrale der Deutschen vermögensberatung (DVAG) an der Rosenstraße sowie eines Modells der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien auf dem Lutherischen Kirchhof macht das neue Modell an der Elisabethstraße auch das Michelchen für Blinde buchstäblich „begreifbar“. Das ist „die gute Nachricht der Woche“ vor ddem Karfreitag 2022. „Mit diesem tollen Geburtstagsgeschenk macht die Ketzerbachgesellschaft den Marburger*innen und den Gästen ein weiteres besonderes Gebäude der Stadt mit neuen Sinnen erfahrbar“, bedankte sich Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies anlässlich der Enthüllung am Samstag (9. April) bei Manfred Spangenberg von der Ketzerbachgesellschaft.
Die Spende des Vereins ermögliche blinden und sehbehinderten Menschen eine barrierefreie Stadterkundung. „Das Bronzemodell bietet aber allen Menschen noch mal eine ganz neue Wahrnehmung des Michelchens“, erläuterte Spies. „Denn durch die Berührung können wir kleine Details noch mal ganz anders erfassen.“
Das Tastmodell bildet das Original bis ins Detail ab – und vermittelt so eine Vorstellung von der Architektur des Gebäudes. Seine künstlerische Realisierung hat die Kunstgießerei Pfeifer aus Stadtallendorf übernommen. den Sandsteinsockel erstellte die Bildhauerei Trautmann aus Hermershausen.
Das Modell macht die Gäste auf das Michelchen aufmerksam, das – etwas versteckt – über eine längere Treppe erreichbar ist. Hoch über dem Verkehrslärm befindet sich die Kapelle in einem Garten am Hang des Weinbergs. Sie wurde im Jahr 1270 erbaut auf einem Gelände, das einst als Pilgerfriedhof genutzt wurde.
Der Ketzerbachgesellschaft liegt das alte Kirchlein besonders am Herzen. „Wir haben quasi eine Patenschaft für den Friedhof am Michelchen“, erläuterte deren Zweiter Vorsitzender Spangenberg. Der Verein kümmert sich um das Gelände, auf dem es noch zahlreiche Grabsteine aus dem 16. bis 19. Jahrhundert gibt.
Diese Grabsteine mit verwitterten Inschriften und einer ikonographischen Darstellung des Lebens der Verstorbenen sind ein ebensolcher Schatz wie das Gebäude selbst. Vorab gestorbene Ehegattinnen und Gatten usowie Kinder der Begrabenen werden dort liegend, überlebende stehend dargestellt. Männliche Personen sind auf der einen, weibliche auf der anderen Seite der Eheleute postiert, sodass jeder Grabstein genaue Auskunft über die Familienverhältnisse der Toten gibt.
Die Mitglieder der Ketzerbachgesellschaft pflegen den verwunschenen Garten. Sie schneiden Äste zurück und pflegen Rosen, die sie gespendet haben. 2021 hat die Ketzerbachgesellschaft dort 800 Narzissen gepflanzt – die nun im Jubiläumsjahr für eine Blütenpracht sorgen sollen.
Ein weiteres Geburtstagsgeschenk des Vereins an die Stadt ist das Tastmodell. „Die Idee hatten wir in der Ketzerbach schon lange in den Köpfen“, berichtete Spangenberg. Nun stehe es pünktlich zu „Marburg800“.
* Franz-Josef Hanke