Spur der Scheibe: Archäologe weist von Nebra nach Anatolien

Die Spur der Himmelscheibe von Nebra weist nach Anatolien. Hethitische Keilschrifttexte enthalten zahlreiche Beschreibungen vergleichbarer Werkstücke, die Gestirne zeigen.
Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra könnte ursprünglich aus Anatolien stammen. Das schließt der Marburger Archäologe Prof. Dr. Andreas Müller-Karpe unter anderem aus Keilschrifttexten der Hethiter, die ähnlich geformte Objekte wie die Himmelsscheibe beschreiben. Der Hochschullehrer berichtet über seine Recherchen in der jüngsten Ausgabe der „Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar Marburg“.
Kurz nach der Jahrtausendwende rief der Fund der Himmelsscheibe von Nebra erheblichen Wirbel hervor; seit dem Jahr 2013 zählt sie zum UNESCO-Welterbe. Die runde Bronzeplatte mit ihren goldenen Mond- und Sternsymbolen gilt als die älteste bekannte Darstellung des Nachthimmels mit seinen Gestirnen.
„Angesichts der lückenhaften Überlieferung mag das Stück singulär erscheinen“, sagte Müller-Karpe. „Es gibt jedoch durchaus Hinweise darauf, dass es ursprünglich kein Einzelstück war.“
Diese Indizien finden sich in Anatolien. Dort gibt es zwar bei weitem nicht so viele Ausgrabungsstätten wie in Mitteleuropa; daher kennt man auch kein vergleichbares Metallfundstück, dafür aber bronzezeitliche Texte. In der kleinasiatischen Region hat man nämlich große Keilschriftarchive ausgegraben und damit ganze Bibliotheken in Scherben.
Im Anatolien der Bronzezeit scheinen Himmelsdarstellungen recht häufig gewesen zu sein, insbesondere als Ausstattung von Tempeln, wie zahlreiche Erwähnungen in Keilschrifttexten belegen. Es gab Abbildungen von Sonne, Mond und Sternen aber nicht nur in Form von Metallreliefs, sondern auch als Brotfladen, die bei Ritualen rund um Schwangerschaft und Geburt gereicht wurden: „Sterne aus Teig und eine Mondsichel aus Teig drückt man auf ein Brot aus 3 Handvoll Mehl und nennt es Brot der Nacht“, heißt es zum Beispiel in einem Ritualtext.
Müller-Karpe zitiert ausführlich aus den überlieferten Schriftstücken, in denen er zahlreiche Hinweise auf Metallobjekte gefunden hat, die man sich wie die Himmelsscheibe von Nebra vorstellen kann. Das sind flache, runde Werkstücke mit applizierten Mondscheiben und Sternen.
Der Marburger Hochschullehrer argumentiert deshalb, dass auch die Himmelsscheibe von Nebra einen anatolischen Hintergrund haben könnte, denn die Machart des Funds unterscheidet sich erheblich von weiteren Artefakten, die zugleich mit ihm geborgen wurden. Sie unterscheide sich etwa von Schwertern, die handwerklich viel aufwendiger gefertigt sind. Das spreche dafür, dass die Himmelsscheibe aus einem anderen kulturellen Kontext stammen könnte.
„Auch die Metallanalysen legten nichts anderes nahe“, erklärte Müller-Karpe. „Hätte man die Himmelsscheibe in einem hethitischen Tempel gefunden, wäre ihr kaum eine derartige Aufmerksamkeit zugekommen“, vermutet der Archäologe: „Rasch wären die Parallelen in zeitgenössischen Texten benannt worden.“
Müller-Karpe lehrt Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie in Marburg. Er leitet das Vorgeschichtliche Seminar der Philipps-Universität.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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