Als „geopolitisches Schachspiel mit Todesfolge“ brandmarkte Prof. Dr. Herbert Wulf die weltweit vorherrschende Militär- und Außenpolitik.
Die Laudatio des Friedensforschers aus Pinneberg auf die Berghof Foundation verlas PD Dr. Johannes M. Becker anlässlich der Verleihung des Peter-Becker-Preises für Friedens- und Konfliktforschung am Freitag (20. Januar) in der Aula der Alten Universität. Bereits zum siebten Mal wurde dort die – von dem Marburger Rechtsanwalt Dr. Peter Becker gestiftete –
Auszeichnung verliehen. 2017 hat die Jury zwei Hauptpreise mit einer Dotierung von je 2.500 Euro und einen – mit 2.000 Euro dotierten – Nachwuchspreis vergeben.
Die Berghof Foundation mit Sitz in Berlin erhält den ersten Teil des Hauptpreises für ihre Verknüpfung von Forschung und Praxis zur friedlichen Transformation von Konflikten. Mit der Entwicklung und Verbreitung ihrer praktischen Methoden und der Unterstützung von Peacebuilding-Prozessen vor Ort setzt die Berghof Foundation wichtige Impulse zur nachhaltigen Stärkung von Friedensprozessen.
Die Laudatio verwies auf die eher ungewöhnliche Arbeitsweise der Stiftung, die „Räume schafft“, in denen die Beteiligten an Konflikten dann gemeinsam nach Lösungen suchen. Dabei setze sie vor allem auf die Kompetenz der Konfliktparteien in eigener Sache. Ziel sei das Gespräch unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen über den jeweiligen Konflikt, das der Gegenpartei die Sichtweise des jeweils anderen auf den betreffenden Konflikt eröffne.
Stiftundsdirektor Prof. Dr. Dr. Hans Gießmann erklärte diese Herangehensweise zur Voraussetzung für eine nachhaltige Konfliktbearbeitung. Den Betroffenen würden icht von außen Lösungen aufgepfropft, sondern tiefere Einsichten in die eigene Konfliktlage und ihre Grundlagen eröffnet. Die Vertreter der Stiftung redeten dabei mit jedem, der zum Gespräch bereit sei, selbst wenn er keine besonders angenehme Gruppe oder Position vertrete.
Diese Haltung sei jedoch nicht ungefährlich. So sei es der Stiftung nach dem – durch die indonesische Regierung mutwillig vom Zaun gebrochenen –
Wiederausbruch des Bürgerkriegs zwischen Singalesen und Termilen nur mit Mühe gelungen, die eigenen Leute aus dem Land herauszuholen. Inzwischen habe Indonesiens Regierung jedoch beim Auswärtigen Amt (AA) in Berlin darum gebeten, dass die Berghof Foundation ihre Arbeit wieder aufnehme, weil die angestrebte militärische Konfliktlösung zwischen Singalesen und Termilen militärisch nicht gelingt.
Anhand des Bilds von einem „Palaver unter Palmen“ berichtete der Preisträger von einer Reise nach Somalia. Entsprechend der dort vorherrschenden Kultur sei die Einigung zwischen den Konfliktparteien erst durch einen gemeinsamen Tanz bekräftigt worden.
Für seine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Friedensbewegung und Friedensforschung erhielt Clemens Ronnefeldt den zweiten Teil des Hauptpreises. „Der Preisträger vernetzt verschiedene soziale Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten, im Kaukasus und auf dem Balkan“, begründete die Jury die Auszeichnung des Friedensreferenten beim Versöhnungsbund in Minden. „Mit seiner Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit leistet Ronnefeldt einen wesentlichen Beitrag zu einem friedenspolitischen Bewusstsein in der Bevölkerung und gibt Impulse für eine zivile Konfliktbearbeitung.“
Für diese Wahl zollte Laudator Prof. Dr. Ulrich Duchrow der Jury großen Respekt. Er verwies auf die grundlegegende Kritik des Preisträgers an den wesentlichen Konfliktursachen, die Ronnefeldt vor allem im Waffenhandel und kapitalistischen Machtinteressen ausmacht. So kritisierte er den Einsatz der Bundeswehr in Mali und die von der Bundeskanzlerin versprochenen Freihandelsabkommen mit afrikanischen Ländern als Gegenteil einer Bekämpfung von Fluchtursachen; vielmehr verursachten gerade sie noch weitere Flüchtlingsströme.
Ronnefeldt beschrieb kurz die Arbeit des Internationalen Versöhnungsbunds, der insgesamt sechs Friedensnobelpreisträger hervorgebracht hat. Seine Arbeit bestehe darin, Benachteiligten eine Stimme zu geben und gewaltfreie Konfliktlösungen anzumahnen.
Der Nachwuchspreis schließlich ging an die Psychologin Özden Melis Ulug von der University of Massachusets Amherst. In ihrer Dissertation hat sie die Dynamiken des Kurden-Konflikts in der Türkei untersucht und dazu Politiker, Journalisten und betroffene Menschen befragt. „Ihre politisch hochaktuelle Arbeit besitzt aufgrund ihres methodischen Ansatzes, verschiedenste Gesellschaftssegmente umfassend in einen Konfliktregelungs- und Friedensprozess einzubeziehen, große Relevanz für eine praktische Konflikttransformation“, heißt es in der Preisbegründung.
Laudator Prof. Dr. Christopher Cohrs lobte den Fleiß und das Engagement der jungen Friedensforscherin. Sie selbst beschrieb ihren Ansatz auf Englisch, wobei sie bei der Erstellung ihrer Doktorarbeit 2015 noch Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konflikts hegte. Diese Hoffnungen habe die jüngste Entwicklung in der Türkei auf dramatische Weise zunichte gemacht.
Unter Tränen widmete Ulug ihren Preis den 6.900 in der Türkei inhaftierten Wissenschaftlern und den von ihr befragten Journalisten, die inzwischen ebenfalls inhaftiert wurden. Ihr bleibe nur die Hoffnung, dass ihre Arbeit in der Zukunft einmal zu einer Lösung des Konflikts beitragen könne.
Am Ende dankte der Preisstifter Dr. Peter Becker den Preisträgern, Laudatoren und allen Anwesenden. Die von ihm gestiftete Auszeichnung ist der höchstdotierte Preis für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Gerade angesichts der – gleichzeitig mit der Preisverleihung in washington stattfindenden – Vereidigung von Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) gewinne die Friedens- und Konfliktforschung noch mehr an politischer Brisanz und lebensnotwendiger Beteutung. * Franz-Josef Hanke