Zersetzungskraft der Sprache: „Pushback“ ist das „Unwort des Jahres“ 2021

„Pushback“ ist das „Unwort des Jahres“ 2021. Das hat Prof. Dr. Constanze Spieß im Namen der Jury am Mittwoch (12. Januar) in Marburg mitgeteilt.
„Der Ausdruck „Pushback“ stammt aus dem Englischen und bedeutet „zurückdrängen“ oder „zurückschieben“. Im Migrationsdiskurs bezeichnet das Wort die Praxis von Europas Grenztruppen, Flüchtende an der Grenze zurückzuweisen und am Grenzübertritt zu hindern. Ganz unterschiedliche Politiker, Journalist und Organisationen verwendeten im Jahr 2021 diesen Ausdruck in Debatten zur Einwanderung über die euro-päischen Außengrenzen.
Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt wird, der den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen. Den Flüchtenden wird somit ein faires Asylverfahren vorenthalten. Der Einsatz dieses Fremdworts trägt zur Verschleierung des Verstoßes gegen die Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl bei.
Mit dem Gebrauch des Ausdrucks werden zudem die Gewalt und Folgen wie Tod verschwiegen, die mit dem Akt des Zurückdrängens von Migrantinnen und Migranten verbunden sein können. „Nicht selten enden sie mit Suizid oder der Ermordung der Betroffenen“, erklärte Jury-Sprecherin Spieß. „Ursprünglich wurde Pushback auch benutzt, um Flugzeuge auf dem Flughafen in eine Warteposition zurückzuschieben.“
Dieses Wort verharmlose nun einen Bruch internationalen Rechts mit häufig dramatischen Folgen. Die Jury kritisiert die in den Medien unreflektierte Nutzung dieses Wortes auch bei Kritikerinnen und Kritikern der Maßnahmen.
Außerdem kritisiert sie als Unwörter auf Platz 2 und 3 im Jahr 2021 „Sprachpolizei“ und unangemessene Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Mit dem Ausdruck „Sprachpolizei“ werden Personen diffamiert, die sich unter anderem für einen angemessenen, gerechteren und nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch einsetzen, der bisher benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen sprachlich einschließt. Die Jury bewertet ihn als irreführend, weil er suggeriert, dass es eine exekutive Instanz gäbe, die über die Einhaltung von Sprachregeln ,wacht‘ und bei Nicht-einhaltung‘ Bestrafungen vorsieht oder Bestrafungen durchsetzt.
Unter den Einreichungen fanden sich eine Vielzahl an Ausdrücken, die im Zuge der Corona-Demonstrationen von Impfgegner*innen verwendet werden und völlig unzulässig eine Ähnlichkeit zwischen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie und der nationalsozialistischen Diktatur nahe legen. Zu nennen wären zum Beispiel „Impfnazi“, „Ermächtigungsgesetz“ für das Infektionsschutzgesetz oder der gelbe Stern mit dem Aufdruck „ungeimpft“. Die deplatzierte Verwendung solcher Ausdrücke führt nach Auffassung der Jury zur Verharmlosung des Nationalsozialismus, zur Verhöhnung der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und in manchen Fällen zu einer Opfer-Täter-Umkehr.
In diesem Jahr greift die Jury wieder auf die 2013 eingeführte Kategorie des persönlichen Unworts des Gastjurors zurück, um Ausdrücke zu würdigen, die den jährlich wechselnden Gastjuror**innen am Herzen liegen. Das persönliche Unwort „Militärschlag“ des diesjährigen Gasts Harald Schumann ist eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt. Schon seit Jahrzehnten bedienen sich Politiker*innen und unkritische Medien dieses Ausdrucks und verschleiern damit, worum es eigentlich geht.
Als „Militärschlag“ bezeichnen sie Bombenangriffe und Artillerie- oder Raketenbeschuss auf Ziele, bei denen die Aggressoren srupellos den Tod unschuldiger und zumeist auch unbewaffneter Opfer in Kauf nehmen. Wenn eine Regierung ihre Bomber, Drohnen, Panzer und Raketen für Angriffe auf andere Völker oder auch Widerstandsgruppen im eigenen Land einsetzt, dann handelt es sich um Krieg,, nicht bloß um ein paar Schläge.“
Für das Jahr 2021 erhielt die Jury insgesamt 1.308 Einsendungen. Dabei wurden 454 verschiedene Ausdrücke vor-geschlagen, von denen knapp 45 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen. Unter den häufigsten Einsendungen, die aber nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren „boostern“ mit 22 Nennungen, „Covidiot“ mit 20 Nennungen, „Eigenverantwortung“ mit 14 Nennungen, „Gendersternchen“ mit 16 Nennungen, „illegaler Kindergeburtstag“ mit 71 Nennungen, „Impfangebot“ mit 13 Nennungen, „Impfdurchbruch“ mit 13 Nennungen, „Impfdrängler“ mit 11 Nennungen, „Impfverweigerer“ mit 11 Nennungen, „Pandemie der Ungeimpften“ mit 16 Nennungen, „Querdenker“ mit 47 Nennungen „systemrelevant“ mit 24 Nennungen, „Tyrannei der Ungeimpften“ mit 287 Nennungen, „Ungeimpft“ und Ungeimpfte mit 21 Nennungen sowie „Verweilverbotszone“ mit 30 Nennungen.
Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus den vier Sprachwissenschaftler*innen Dr. Kristin Kuck von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Prof. Dr. Martin Reisigl von der Universität Wien, Dr. David Römer von der Universität Trier und Prof. Dr. Constanze Spieß von der Philipps-Universität als Sprecherin sowie der freien Journalistin Katharina Kütemeyer. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Journalist Harald Schumann beteiligt.
Seit 2021 gehört Spieß der Jury an. Die Germanistin lehrt seit 2019 an der Philipps-Universität in Marburg. In die Jury berufen wurde sie vom Vorgängergremium, das zuvor zehn Jahre lang alljährlich ein „Unwort“ gekürt hatte.

* Franz-Josef Hanke/pm

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