„Der Unterricht ist dann beendet, wenn ich es sage, und nicht, wenn euch bewusst wird, dass es in einer Minute klingelt!“, schreit mein Lehrer um 13:09 Uhr. Mit rasendem Blick und schäumenden Mund lässt er seinen Kopf durch das Klassenzimmer kreisen.
Jeder Tisch ist leer. Ich und zahlreiche meiner Mitschüler haben Blöcke, Federmäppchen und grauenvoll verunstaltete Taschenrechner schon vor etwa fünf Minuten in den Tiefen unserer Rucksäcke verstaut und machen uns gerade an den Reisverschlüssen unserer Jacken zu schaffen.
Unseren zur Furie mutierenden Lehrer ignorieren wir. Unsere Gedanken sind längst bei der wichtigsten Frage des Tages angelangt: „Wo verbingen wir unsere Mittagspause?“
Mit dem Einsetzen der Pausenglocke springen wir auf und verlassen den Raum fluchtartig. Lediglich den den Raum zuletzt verlassenden Schüler – natürlich der Einschleimer vom Dienst – hören wir „Auf Wiedersehen“ heucheln.
Dass er Zeit hat, sich bei dem Lehrer beliebt zu machen, ist verständlich. Seine Mutti hat ihm zahlreiche Brotdosen mit allerlei Leckereien vorbereitet und einen Zettel dazu gelegt, auf dem – mit lachendem Gesicht versehen – „Guten Appetit“ steht.
Für uns anderen jedoch beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit. Die alles entscheidende Frage besteht darin, wo man die – lediglich 40 Minuten dauernde – Mittagspause verbringt und woraus das Mittagessen bestehen soll. Sehr freundlich ist von den 5 Schulen an der Leopold-Lucas-Straße, die Mittagspause zur selben und in der kürzesten aller Stunden stattfinden zu lassen.
Alleine der Tatsache, dass die Umgebung dieser Schulen zahlreiche Möglichkeiten zu Nahrungsaufnahme bietet, ist es geschuldet, dass kein Rettungswagen bereitstehen muss, um im nackten Kampf ums Überleben gefallene Schüler zu versorgen.
In der Regel lassen sich die Schüler in fünf Kategorien einordnen. Die Erste umfasst die Schüler, die ihre ausgewogene und gesunde Mittagsmahlzeit so günstig wie möglich erwerben wollen und deshalb den Döner ihres Vetrauens aufsuchen. Nach niemals Enden wollendem Anstehen kommen sie zehn Minuten vor Beginn der nächsten Unterrichtsstunde mit einem riesigen Döner in der Hand und einem fetten Soßenfleck auf dem Shirt in der Schule an. Sie sind gezwungen, ihren Erwerb herunterzuschlingen und klagen anschließend über Bauchweh.
Ähnlich ergeht es Schülern der zweiten Kategorie. Sie trennen sich auf halbem Wege von der Döner-Fraktion, um die Pizzeria zu entern.
Etwa 15 Minuten vor Ende der Pause kommen sie mit einem Pizzakarton in der Schule an und müssen damit leben, dass zahlreiche Menschen sich um sie versammeln, um ein Stück der von Fett triefenden italienischen Spezialität zu erbetteln. Wenn sie Glück haben, bleiben ihnen am Ende zwei Stücke ihrer hart erkämpften Mahlzeit und sie kommen mit nur einem blauen Auge davon.
Verfechter der dritten Kategorie haben es schon leichter. Sie kommen zur Hälfte der Mittagspause in der Schule an. Mit sich tragen sie kleine weiße Kartons, bedruckt mit schwarzen chinesichen Häuschen und schlitzäugigen Zeichentrickfiguren.
Sie müssen ihre Beute nicht vor natürlichen Fressfeinden verteidigen. Beim Öffnen ihrer gut duftenden Box wird ihnen allerdings bewusst, dass der nette Verkäufer weder Plastikgabel noch -messer, sondern wunderbar traditionelle Essstäbchen für die natürlich keineswegs klitschigen, in süß-sauer-Soße getränkten Nudeln mitgegeben hat.
Unter Lehrern am meisten verhasst sind Schüler der vierten Kategorie. Sie nehmen für ein Mittagessen, oft bestehend aus einer Tüte Chips und einer Zwei-Liter-Flasche Coca Cola, den längsten Weg auf sich.
In einem der umliegenden Supermärkte angekommen durchstreifen sie die Regale auf der Suche nach der billigsten Ware. Haben sie die gefunden, reihen sie sich entweder an der Fleischtheke, an der Bäckerei oder an der Kasse in die Kilometer lange Schlange ein.
Diese Schlange scheint auch nicht abzunehmen, da die einzige Bedienung in Zeitlupe agiert oder aufgrund ihrer Vergesslichkeit ohne Brille die Tasten der Kassentastatur nicht entziffern kann. Verhasst bei den Lehrern ist die Supermarkt-Fraktion daher deshalb, dass sie grundsätzlich drei Minuten nach Beginn des Unterrichts verhalten an die Tür klopft und sich anschließend mit laut knisternden Tüten breit grinsend an den Tisch setzt.
Am leichtesten ist die Mittagspause für die Schüler der fünften Kategorie. Sie haben den täglichen Kampf um ein billiges, sowie leckeres und entspanntes Mittagessen von auswärts aufgegeben.
Stattdessen besetzen sie die Pausenhalle der Schule und betrachten das Spektakel der in die Schule rennenden Auswärts-Esser.
Ihr Essen haben sie, entweder aus Geldmangel oder aufgrund der Tatsache, dass sie Möchtegern-Veganer oder glutenunverträglich sind, von Zuhause mitgebracht. Gelegentlich verschwenden sie auch unser Geld für halbherzig mit trockenem Salat belegte Brötchen der Cafeteria.
Am meisten freuen sie sich allerdings auf die Ankunft der Döner-Dummies, Pizza-Flitzer und Supermarkt-Gänger, um über sie herzufallen und – und ohne sich angestrengt und abgehetzt zu haben – von deren Essen satt zu werden, für das sie selbst keinen Cent ausgegeben haben.
Natürlich gehöre auch Ich zu dieser Art von Genießern.
* Elisa Tittl
Seien Sie lieber nett und zuvorkommend zu dem Brotdosenjungen…
… und tun Sie wenigstens so als ob Sie die Zettel mit den laechelnden Gesichtern niedlich faenden.
Denn Sie werden ihn nach der Schule bald wiedersehen…
…als Ihren Sachbearbeiter auf dem Finanzamt. 😯