Dialog mitgemacht: „Marburg spricht“ als Übung in Demokratie

Welten trafen aufeinander bei „Marburg spricht“. Dabei handelt es sich um eine Veranstaltung für Dialog und Vielfalt.
„Marburg spricht“ hieß es am Sonntag (4. Juli). Mehr als 170 Menschen haben mitgemacht und sich zu Gesprächen getroffen, 50 von ihnen waren live im Erwin-Piscator-Haus (EPH) dabei. Das Dialogformat, das auf „Deutschland spricht“ zurückgeht, soll Andersdenkende zu einem Gespräch auf Augenhöhe zusammenbringen. Dabei setzte die Universitätsstadt Marburg gemeinsam mit ihren Kooperationspartner*innen ZEIT ONLINE/ My Country Talks und der Oberhessischen Presse (OP) das Format erstmals auf kommunaler Ebene um.
„Wenn eine Stadt als Ganzes funktionieren soll, so geht das nur, indem wir miteinander statt übereinander reden“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies während der Auftaktveranstaltung im EPH. „Wir dürfen nicht verlernen, unsere eigenen Positionen im Gespräch mit Andersdenkenden zu hinterfragen und durch den Austausch ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erlangen.“
Bei der Auftakt-Veranstaltung im EPH, die zudem live gestreamt wurde, gab es zunächst für die Gesprächsteilnehmenden und alle Interessierten ein einstündiges Programm rund um das Thema Kommunikation, bevor es in die Gespräche ging – entweder im EPH, online oder an einem anderen verabredeten Ort. Mehr als 170 Menschen wurden von der Software von ZEIT ONLINE zu Gesprächspaaren in Marburg zusammengeführt. Um die 50 Personen suchten dabei das Gespräch mit ihrem Gegenüber im EPH.
Der Moderator und Poetry-Slammer Lars Ruppel begrüßte die Gäste vor Ort und Zuhause mit einem Gedicht passend zum Thema Dialog und Gesprächskultur. Zu Beginn sprach Ruppel mit Ileri Meier, Geschäftsführerin der Oberhessischen Presse, Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner und Oberbürgermeister Spies darüber, warum sie das Projekt auf den Weg gebracht haben – und welche Orte sich in Marburg gut eignen, um mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen. Über die Hintergründe und Erfolgsgeschichte des Formats „Deutschland spricht“ sprach Philip Faigle aus dem Gründungsteam des Projekts per Live-Schalte.
Dr. Lasse Stötzer vom briq Institut in Bonn stellte in einem Videobeitrag die Ergebnisse der Untersuchung vor, welche Auswirkungen Zweiergespräche auf Vorurteile gegenüber Andersdenkenden, den sozialen Zusammenhalt und politische Überzeugungen haben. Ein Ergebnis ist, dass der Dialog mit Andersdenkenden zwar meist nicht die eigene Meinung geändert, aber Vorurteile abgebaut und das Gefühl des sozialen Zusammenhalts gestärkt habe.
Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes und Eva-Maria Gauß von der AG Sprechwissenschaft der Philipps-Universität machten auf die möglichen Ziele eines Gesprächs und deren Einfluss auf die Gesprächsführung aufmerksam. Zudem gaben sie ein paar Tipps, wie die bis dahin einander Fremden gut in ein Gespräch kommen können.
Die Marburgerinnen und Marburger nahmen die Möglichkeit dankbar an, sich mit anderen auszutauschen. Dabei äußerten mehrere Teilnehmende, dass sie sich mehr solcher Räume wünschten, in denen auch politisch strittige Themen ruhig miteinander ausdiskutiert werden können.
So berichtete ein Teilnehmer, dass er bei „Marburg spricht“ mitmache, da er dort die Gelegenheit bekomme, sich intensiv mit jemandem auszutauschen, der andere Ansichten vertritt. Außerhalb des Formats sei er bisher eher auf eine geringe Gesprächsbereitschaft des Gegenübers gestoßen.
Auch Lisa Hartke habe aus Lust am politischen Austausch teilgenommen. „Meine Gesprächspartnerin und ich vertreten bei den Fragen wirklich immer die jeweils andere Antwort. Ich wurde mit meinen Ängsten und Vorurteilen konfrontiert und fand das wirklich spannend“, berichtete die Teilnehmerin.
Dabei sei die Gesprächsatmosphäre dennoch angenehm gewesen. „Es war eher das Interesse da, zu erfahren, warum das Gegenüber diese Ansichten vertritt. Ich wollte die Gedanken einfach nur nachvollziehen können“, erklärte Hartke weiter.
Sie und ihre Gesprächspartnerin werden sich ein weiteres Mal treffen, um sich auch über andere Themen auszutauschen. Die Teilnehmerin Bella-Jean Gnodtke würde das Format weiterempfehlen, da es einen geschützten Rahmen für die Gespräche biete.
„Die Organisation war wirklich super und intuitiv gestaltet““, resümierte Gnodtke. „Man wusste immer, was als nächstes folgt.“
Die Teilnehmerinnen betrachten das Format als eine gelungene Plattform. Sie helfe dabei, der demokratischen Verantwortung nachzukommen, sich mit allen Meinung innerhalb einer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Darum begrüßten sie einer Wiederholung des Projektes „Marburg spricht“.
Die Aktion „Marburg spricht“ ist als ein Projekt im Handlungsprogramm „Für Dialog und Vielfalt – Gegen Rassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit“ des Fachdienses Bürgerbeteiligung entstanden. „Ziel der Bürgerbeteiligung ist es, einen Dialog zwischen den unterschiedlichen Interessen bei zum Beispiel städtischen Vorhaben zu ermöglichen und diesen wirksam werden zu lassen, indem beispielsweise Kompromisse herausgearbeitet werden“, erklärte Dr. Griet Newiger-Addy, Leitung des Fachdiensts Bürger*innenbeteiligung. Aufgrund dieser Aufgabe des Fachdiensts habe es nahegelegen, ein Dialogformat anzubieten, bei dem sich Bürger*innen unterschiedlicher Ansichten miteinander in einen Austausch begeben.
„Diese Form des Austauschs zu fördern, ist unheimlich wichtig, um ein demokratisches Miteinander zu stärken“, erläuterte Newiger-Addy weiter. Zudem sei der Dialog zwischen Andersdenkenden ein Mittel der Prävention gegen extreme Gedankenströmungen.
„Es geht nicht darum, am Ende von der Ansicht des Gegenübers überzeugt zu sein, sondern die andere Ansicht überhaupt einmal wirklich kennenzulernen, indem sich auf einer respektvollen und menschlichen Ebene begegnet wird“, verdeutlichte Stadtverordnetenvorsteherin Neuwohner. Die Leidenschaft für ein bestimmtes Thema dürfe in einer Diskussion nicht so weit gehen, dass sie jemanden verletzt. Die Auftakt-Veranstaltung ist weiterhin zu sehen unter youtu.be/lQt8OWxmSqk.

* pm: Stadt Marburg

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