Der Regen wird stärker. Für den Weg zum Impfzentrum werden wir wohl eine gute Dreiviertelstunde brauchen.
Bereits im Dezember 2020 hat der Landkreis Marburg-Biedenkopf auf dem Marburger Messeplatz im Aföller ein Impfzentrum aufgebaut. Seit Weihnachten 2020 wurden dort bereits 68.774 Impfungen gegen Covid 19 durchgeführt. Mit den derzeit verfügbaren Impfstoffen von BionTech, Moderna und AstraZeneca benötigen alle Impflinge zwei Impfungen im Abstand von mehreren Wochen.
Mir ist der Impfstoff von BionTech zugeteilt worden. Mit meiner Begleiterin mache ich mich mehr als eine Stunde vor dem zugewiesenen Termin auf dem Weg zum Impfzentrum. Die Kapuze meiner Regenjacke ziehe ich über den Kopf, während meine Begleiterin ihren Schirm aufspannt.
Das Mainzer Unternehmen BionTech hat den ersten Corona-Impfstoff auf Basis der neuen MRNA-Technologie entwickelt. Auf der gleichen Grundlage basiert auch das Vaccin des US-amerikanischen Unternehmens Moderna.
Während wir die Afföllerstraße entlanglaufen, lässt der Regen allmählich nach. Meine Begleiterin hält immer wieder an, wenn Autos an uns vorbeifahren, damit das Wasser in den Pfützen auf der Fahrbahn uns nicht nassmacht. Derweil hat sich die Sonne durch den Regen hindurchgekämpft und strahlt von links warm auf uns nieder.
Auf dem Messeplatz wurde ein großes Zelt aufgebaut. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Johanniter Unfall-Hilfe (JUH) und der Malteser Hilfsdienst (MHD) betreiben das Impfzentrum logistisch. Die organisatorische Verantwortung trägt der Landkreis Marburg-Biedenkopf.
Draußen vor dem Eingang warten Impfwillige in einer langen Schlange. In gebührendem Abstand stellen wir uns hinten an. Nach und nach rücken die Leute vor bis zur gläsernen Tür am Eingang zum Zelt.
Bis zu 1.300 Personen können die Teams im Impfzentrum auf dem Messeplatz jeden Tag impfen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass genügend Impfstoff vorhanden ist. In den ersten Monaten war der jedoch Mangelware.
Wir betreten das Zelt und geben unsere Einladung sowie meinen Personalausweis und meine Krankenkarte dem Mann am Empfangsthresen. Er schaut die Dokumente kurz durch und gibt sie uns dann wieder zurück. Anschließend folgen wir dem Weg durch eine weitere Glastür ins Innere des Zelts.
Zum Impftermin sollten die Eingeladenen ihre Krankenkarte, ihren Ausweis und die Einladung sowie ihren Impfpass mitbringen. Diese Einladung erhält man, indem man sich auf einem Online-Formular im Internet unter impfterminservice.hessen.de zum Impfen anmeldet. Voraussetzung ist allerdings, dass man zu einer der priorisierten Personengruppen gehört, die aufgrund ihres Alters, ihres Berufs, wegen Vorerkrankungen, einer Heimunterbringung oder aus anderen Gründen bereits impfberechtigt sind.
Zwei Tage, bevor ich mich anmelden konnte, hatte ich telefonisch unter der Rufnummer 116 117 um einen Impftermin nachgesucht. Meine Altersgruppe war jedoch noch nicht an der Reihe; und meine Mehrfachbehinderung hätte auch nicht als Grund zur beschleunigten Impfung gereicht, obwohl ich gleich drei Kriterien erfülle, die – jeweils für sich allein – meine Einordnung in die dritte Priorität begründen. Als zwei Tage später meine Altersgruppe dann an der Reihe war, ließ ich mich sofort von einem Freund in das Register eintragen.
Alleine hätte ich das nicht gekonnt. Die Internetseite impfterminservice.hessen.de ist nämlich nicht barrierefrei. Auf alte und behinderte Menschen, die besonders gefährdet sind, ist die Impforganisation absolut nicht eingerichtet.
Trotzdem stehe ich nun in der Schlange und habe die Anmeldung bereits erfolgreich durchlaufen. Ich setze mich auf einen Stuhl, der jedoch so billig ist, dass mir das Aufstehen hinterher Mühe macht, da ich fürchte, ich könnte ihn zerbrechen oder mit ihm umfallen, wenn ich mich auf ihn abstütze. Mehrmals warnt mich Personal im Impfzentrum davor, mich auf die Stühle dort abzustützen, denn offenbar haben sie dabei schon schlechte Erfahrungen gemacht.
Die Kosten der Impfzentren werden immer wieder als Argument dafür angeführt, die Corona-Impfungen an die Hausärztepraxen zu übertragen. Sie jedoch wären mit der schnellen Durchimpfung der gesamten Bevölkerung gegen die neuartige Erkrankung maßlos überfordert. Schließlich müssen sie auch weiterhin die reguläre Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung gewährleisten.
Nun rücken wir vor zu einer Theke, wo eine Frau uns die unterschriebene Einverständiserklärung abnimmt. Die bereits unterzeichnete Aufklärungsbestätigung müsse ich noch einmal neu unterzeichnen, erklärt sie, weil das mitgebrachte Formular inzwischen veraltet sei. Meine Frage, was sich seit April denn geändert habe, kann sie allerdings nicht beantworten.
Mit fortschreitender Pandemie ergeben sich immer wieder neue Erkenntnisse zur Wirkung der verschiedenen Impfstoffe und möglichen Nebenwirkungen. So kommt es bei Vektor-Impfstoffen wie AstraZeneca oder Johnson & Johnson vor allem bei gebärfähigen frauen in sehr seltenen Ausnahmefällen zu Thrombosen und Hirnthrombosen. MRNA-Impfstoffe wie BionTech und Moderna können bei Allergikern heftige allergische Reaktionen auslösen und wirken bei etwa zehn Prozent von Menschen mit Autoimmunerkrankungen überhaupt nicht.
Genauere Aufklärung erhalten wir dann wenige Minuten später von dem Arzt, der das Informationsgespräch mit mir führt. Der Kardiologe arbeitet etwa zehn Mal im Monat nebenbei im Impfzentrum. Er erklärt mir, dass die in dem neueren Formular hinzugefügten Veränderungen AstraZeneca beträfen und nicht den mir zugeteilten Impfstoff von BionTech.
Die Vaccine von BionTech muss bei einer Temperatur von -70 Grad Celsius gelagert werden. Nur bis zu fünf Tage lang ist sie auch bei einer Lagerung im Tiefkühlfach eines normalen Kühlschranks haltbar. Darum wird dieser Impfstoff überwiegend von den Impfzentren eingesetzt, während Hausärzte verstärkt die Vaccine von AstraZeneca verimpfen.
Kaum haben wir das Gespräch mit dem netten Arzt beendet, da kommt auch schon eine junge Frau auf uns zu. Die Medizinerin gibt mir die ersehnte Erstimpfung. Dafür muss ich meinen Oberarm entblößen.
Mit einer dünnen Nadel wird der Impfstoff in den Oberarm gespritzt. Vorher wird die Stelle mit einem Spray desinfiziert.
„Rechts oder links?“, fragt sie. Ich krempele den linken Ärmel hoch und halte ihn der jungen Medizinerin hin. Den Einstich spüre ich ebensowenig wie später irgendeine andere Nebenwirkung der Impfung.
Gelegentlich beklagen Geimpfte anschließend leichte Schmerzen im Oberarm. Allergische Reaktionen sind weitaus seltener.
Ich jedoch spüre überhaupt nichts. Allerdings habe ich Mühe, meine Jacke über die Handschuhe hinüber anzuziehen, mit denen ich meine Hände vor Schmutz und möglichen Ansteckungen schütze. Ich komme mir vor wie der Clown vom Zirkus Roncalli, der seine Jacke am Kleiderständer aufhängt und sich selbst am eigenen Kragen dabei gleich mit.
Nach der Impfung müssen alle Geimpften zehn bis 15 Minuten in einem Ruheraum warten. Erst dann dürfen sie das Impfzentrum wieder verlassen. Diese Vorsichtsmaßnahme soll die Betroffenen vor den Auswirkungen allergischer Reaktionen schützen.
Beim Ausgang bekommen wir eine Bestätigung der Erstimpfung und die Einladung zur Zweitimpfung. Draußen scheint die Sonne. Kaum sitzen wir jedoch daheim am Essenstisch, da bricht draußen wieder ein Wolkenbruch los.
Möglichst viele Menschen sollten sich gegen das Coronavirus SARS-CoV-2
impfen lassen. Nur dann entsteht ein ausreichender Schutz der Allgemeinheit vor dem Krankheitserreger. Wenn 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, kann sich das Virus nicht mehr so leicht weiterverbreiten.
Ich habe meine erste Spritze nun hinter mir. Es hat gar nicht wehgetan; und von Nebenwirkungen habe ich bisher auch nichts bemerkt. Ich wünsche mir allerdings, man könnte Menschen zugleich mit der Immunisierung gegen das Coronavirus auch gegen Dummheit und Arroganz impfen, damit diese tödliche Pandemie und die ignorante Hetze mancher Verschwörungsideologen möglichst bald ein Ende hat.
* Franz-Josef Hanke
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