Unabhängige Fachleute haben ihr Gutachten zum Grüner Wehr vorgestellt. Demnach sind weitere Untersuchungen notwendig.
Das Grüner Wehr hat Schäden wie offene Fugen, Setzungen und Verschleiß. Zu dem Ergebnis kommt das unabhängige Gutachterbüro, das die Stadt in enger Abstimmung mit der BI Grüner Wehr beauftragt hatte. In welchem Ausmaß die Standsicherheit des Bauwerks gefährdet ist, können laut Fachbüro jedoch nur weitere Untersuchungen zeigen. Für die bereits festgestellten Schäden machen die Experten Sanierungsvorschläge.
Ihre Ergebnisse haben die Gutachter der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie standen Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft für Fragen zur Verfügung.
Digital haben sich Stadtverwaltung, Ortsbeiräte und mehr als 80 Interessierte zusammengeschaltet, um bei der Präsentation des neuen Gutachtens zum Grüner Wehr durch das beauftragte Fachbüro dabei zu sein. Gesendet wurde live aus dem Erwin-Piscator-Haus (EPH).
Das Experten stellten detailliert die Grundlagen, die Werkzeuge ihrer Untersuchung und die Ergebnisse vor. Die Stadtverwaltung erläuterte dann die weiteren Schritte bis zu einer Entscheidung durch die städtischen Gremien im Sommer 2021. Dazwischen gab es viel Raum für die Fragen der zugeschalteten Menschen.
Das Wehr ist vermutlich um 1200 errichtet und seitdem mehrfach repariert, umgebaut und instandgesetzt worden. Laut früherer Gutachten ist das stadtbildprägende Baudenkmal nicht mehr standsicher, eine Instandsetzung oder ein Neubau sind notwendig.
Im Mai 2018 hatte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies eine neuerliche Begutachtung zugesagt, nachdem es intensive öffentliche Diskussionen um die geplante Instandsetzung gab, manche zweifeln deren Notwendigkeit generell an.
Das Gutachterbüro hatte die Aufgabe, eine neue und unabhängige Prüfung der Standsicherheit des Grüner Wehrs vorzulegen – und falls notwendig denkmalgerechte Sanierungsvorschläge zu unterbreiten. Das Gutachten ist nun fertig, die Arbeitsgemeinschaft „Grüner Wehr“ hat es abschließend vorgelegt.
Die Gutachter haben mit einer Aktenrecherche zum Aufbau des Wehrs gearbeitet. So gab es beispielsweise 1483 und 1520 nicht näher bekannte Arbeiten am Wehr. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden umfangreiche Reparaturen vorgenommen.
Erst ab hier liegen detaillierte Informationen zu Schäden und verwendeten Materialien vor. 1825 wird beschrieben, dass sich das Vorwehr gesenkt habe und sich keine Spundwand mehr finden lasse. 1965 wurde beschrieben, dass sich der Wehrrücken um bis zu 24 Zentimeter in der Mitte des Bauwerks abgesenkt habe und der Wehrkörper an einigen Stellen stark wasserdurchlässig sei. Erosionen, Risse, Ausspülungen und freiliegende Holzpfähle wurden zwei Jahre später aufgeführt. 1920/1921 wurde das Wehr ostseitig im Zuge der Lahnregulierung erweitert, 1973 Steine als Kolkschutz, also ein Schutz vor Unterspülungen des Wehres, an den Wehrfuß geschüttet. Zuletzt hat die Stadt eine Schadstelle am Grüner Wehr nach einem Hochwasser 1995 repariert. Dabei wurden neue Weser-Sandsteine eingebaut, am Wehrfuß wurde ein Stahlbetonbalken eingefügt.
Aus diesen Arbeiten in den vergangenen Jahrhunderten lässt sich laut Gutachtern ableiten, dass das Grüner Wehr nicht mehr komplett in seiner ursprünglich gebauten Form vorhanden ist – vielmehr hat der Baukörper mittlerweile unterschiedliche Abschnitte. Vermessungsdaten zeigen eine damit einhergehende uneinheitliche Geometrie des Wehres.
Mit Hilfe von Bildern zeigten die Gutachter, dass es Setzungen und offene Fugen an mehreren Stellen in der Wehrkrone gibt. Deutlich sichtbar ist auch, dass das Wasser das Wehr ungleichmäßig überströmt. Das ist eine Folge der offenen Fugen und der Absenkungen.
Zu sehen ist dies daran, dass in der Mitte des Wehres mehr Wasser fließt als an den Rändern. Das Wehr wäre nach einer von den Gutachtern gemachten Modellrechnung mit einem Aufbau gemäß dem historischen Längsschnitt zu einer Reparatur im 19. Jahrhundert in seinem gesamten Aufbau standsicher. Dabei berücksichtigt ist die ungleichförmige Geometrie des Bauwerks.
Gleichzeitig ist bekannt, dass im aktuellen Zustand die Fugen im Mauerwerk offen sind und die wichtigen Spundwände, die damals aus Holz errichtet wurden, vermutlich überwiegend verrottet sind. Das führt unter anderem zu Ausspülungen und Setzungen.
Daraus folgern die Gutachter, dass zur Gewährleistung einer ausreichenden Standsicherheit Maßnahmen erforderlich sind. Genauere Untersuchungen im Inneren seien notwendig, um zu überprüfen, ob eine Sanierung außen am Bauwerk reicht oder es auch im Innern saniert werden muss.
Das bedeutet, dass die innere Standsicherheit des Wehrkörpers durch Bohrungen und Öffnungen zur Untersuchung an mehreren Stellen überprüft werden müsste. Darüber hinaus müssten Baumaßnahmen stattfinden, um die äußere Standsicherheit des Grüner Wehrs wiederherzustellen.
Laut Gutachtern sind am äußeren Aufbau in jedem Fall mehrere Maßnahmen unerlässlich. Steine müssen repariert und Fugen im Deckwerk des Wehrs geschlossen werden, damit kein Wasser mehr hineinläuft. Eindringendes Wasser führt zu Erosionen.
Eine sogenannte „Tosbeckenplatte“ aus Beton sollte am Wehrfuß angebaut werden. Belegt werden kann diese mit einer rauen Pflasterung aus Naturstein.
Ergänzt wird die Betonplatte mit einem Kolkschutz aus Bohrpfahl- oder Leichtspundwand. Die Tosbeckenplatte schlagen die Gutachter als Ersatz für die wahrscheinlich nicht mehr intakten historischen Holzspundwände vor.
Die Anlandungen im Oberwasser sollten entfernt werden. Die Ufermauern sollten Instand gesetzt werden
Je nach Ergebnis weiterer Untersuchungen im Inneren des Bauwerks könnte es zudem nötig werden, die innere Auffüllung zu ertüchtigen. Diese Maßnahmen könnten im Zuge einer Instandsetzung und ohne Neubau umgesetzt werden. Laut Gutachtern müsste das Wehr auch danach weiterhin regelmäßig kontrolliert und engmaschig unterhalten werden.
Wenn die Stadt sich gegen einen Neubau und für Sanierungsarbeiten entscheidet, empfehlen die Gutachter, dass zuvor das Deckwerk des Wehrs genau kartiert wird. Außerdem muss das Deckwerk stellenweise geöffnet werden, beziehungsweise sollte es Kernbohrungen zur Untersuchung geben, um systematisch die Schäden aufzunehmen. Zudem müssten die Baugrundverhältnisse oberhalb und unterhalb des Wehrkörpers untersucht sowie mittels Sondierungen Durchlässigkeit und andere Bodenkennwerte ermittelt werden.
Für die Untersuchungen und die Baumaßnahmen wären Eingriffe in die Bausubstanz, die Ufervegetation und die Flusssohle notwendig. Wasserhaltungen sind für die Untersuchungen zur Standsicherheit im jeweils untersuchten Abschnitt ebenfalls notwendig.
Auch die Kostenfrage hat das Gutachterbüro mit untersucht: Die vorgeschlagenen Sanierungsmaßnahmen kosten einschließlich der Wiederherstellung der inneren Standsicherheit rund 3,6 Millionen Euro.
Das abschnittweite Trockenlegen für die Arbeiten ist mit einer Million Euro enthalten. Hinzu kommen die Kosten für die Untersuchungen, für die jeweils ebenfalls eine „Wasserhaltung“ nötig ist.
Wie geht es nun weiter? Gibt es einen Neubau, eine Sanierung des äußeren Wehrs oder auch im Innern? Wie wird der Fischaufstieg geschaffen?
Welche Auswirkungen haben welche Maßnahmen auf Denkmalschutz, Naturschutz, Kosten und Dauer der Arbeiten? Welche Eingriffe sind mit den verschiedenen Varianten verbunden? Und wie groß sind diese Eingriffe und der Aufwand für die Untersuchungen im Verhältnis zu einer direkten Instandsetzung?
Diese Fragen muss die Stadt im Nachgang klären. Geplant ist im Dezember eine Nachbesprechung des Gutachtens mit der BI Grüner Wehr und den Ortsbeiräten. Anschließend geht es darum, Fragen zur Förderfähigkeit zu klären, ein Konzept für die Bauwerksuntersuchung zu erstellen und eine Stellungnahme der Oberen Wasserbehörde einzuholen.
Diese Klärungen sind notwendig, um eine Entscheidungsvorlage für die städtischen Gremien vorzubereiten. Eine Beschlussfassung ist für die Zeit nach der Sommerpause 2021 vorgesehen.
* pm: Stadt Marburg