Wir sind Luther: Uraufführung begeisterte mit Musik, Witz und Wissensvermittlung

„Dies Irae“, singt der Chor. „Wir sind Luther“, sagen die Darsteller im Chor. Das Stück „Wir sind Luther“ von Marc Becker feierte am Freitag (2. Juni) Premiere auf dem Marktplatz.
Zum Reformationsjahr 2017 hat Becker die spritzige Revue rund um den Reformator eigens für das Hessische Landestheater Marburg erarbeitet. Bei der Uraufführung seines Werks führt der Autor auch selber Regie.
Mitunter witzig und manchmal überraschend verknüpft das Stück historische Ereignisse mit heutigen Lebensgewohnheiten und Anschauungen: Mit gekonnter PR strickte Luther geschickt an seiner eigenen Legende. Das besingt ein fetziger Rock-Song sehr schön.
Luther hat eine eigene Playmobil-Figur. Das hat außer ihm keiner der berühmtesten Deutschen.
Bei einer Umfrage kam Luther vor Jahren auf den zweiten Platz. Vor ihm rangierte nur ein gewisser Konrad Adenauer. Doch der hat keine eigene Playmobil-Figur und scheint den Darstellern auf der Bühne auch kaum bekannt zu sein.
Ein Gewitter versetzt den jungen Martin 1505 in furchtbare Angst. Er gelobt, ins Kloster zu gehen, wenn er es überlebt. Doch im Kloster ist das Leben eine einzige Buße ohne göttliche Erleuchtung.
Johann Tetzel tritt auf. Mit dem geldgierigen Ablasshandel unter Ausnutzung der Angst vieler Gläubiger um ihr Seelenheil hat er Luther zu seinen 95 Thesen veranlasst. Ohne Tetzel gäbe es keine Reformation oder zumindest nicht so, wie sie dann abgelaufen ist.
„Der Hammer Gottes“ schlägt am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg; oder hat er sie nur in gedruckter Form veröffentlicht? Jedenfalls war der Mann gut vernetzt und hat geschickt an seinem eigenen Mythos gearbeitet.
Mit dem Thesenanschlag ändert er seinen Namen: Aus Martin Luder wird Martin Luther. Bob Dylan hat das ähnlich gemacht, hieß er doch ursprünglich Robert Zimmerman.
Beim Reichstag in Worms 1521 verteidigt sich Luther vor dem Kaiser, dem Papst und den Fürsten. Den berühmten Satz „Hier stehe ich“; ich kann nicht anders“ hat wahrscheinlich aber Luthers Freund und Berater Philipp Melanchton nachträglich in den gedruckten Redetext eingefügt.
Anschließend bewegt sich Becker auch historisch an den Ort der Uraufführung: Das Marburger Religionsgespräch fand 1529 auf dem Marburger Landgrafenschloss statt. Trotz großen Erfolgsdrucks konnten sich Luther und der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli dort nicht über das Abendmahl einigen.
Das gesamte Leben des Reformators lassen die verschiedenen Luthers auf der Bühne Revue passieren. Oft sprechen sie gereimten Text im Chor oder singen ihn; mitunter übernimmt eine Darstellerin oder ein Darsteller auch allein die Rolle Luthers oder die von Karl Marx.
Marx kam bei der Hitliste der berühmtesten Deutschen nur auf Platz 3. Ob sein 200. Geburtstag im Jahr 2018 ebenso gefeiert werden wird wie 2017 das Jubiläum von Luthers Thesenanschlag 2017 bleibt fraglich. Eine Playmobil-Figur hat er jedenfalls nicht.
Aber Marx kritisiert Luther als „Fürstenknecht“. Auch der Antisemitismus und frauenfeindliche Äußerungen des Reformators bringt Becker in seinem Stück zur Sprache.
Die Bewertung freilich überlässt er dem Publikum. Kurzweilig und beschwingt – doch zugleich witzig und zugespitzt – lässt er Luthers Leben und Wirken Revue passieren.
„Musik ist ein reines Geschenk und eine Gabe Gottes“, sagt Luther. „Sie vertreibt den Teufel. Sie macht die Leute fröhlich; und man vergisst über sie alle Laster.“
So lassen die Musiker Jörg Helfrich, Andreas Jamin, Christian Keul und Holger Schwarzer auch Luthers eigenes Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ erklingen. Immer wieder zitieren die Schauspieler den genialen Übersetzer, Redner und Sprachschöpfer, dessen Sprüche heute zum festen Bestandteil der deutschen Kultur gehören: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“
Am Ende erhielten die Darsteller Ogün Derendeli, Lisa-Marie Gerl, Julia Glasewald, Thomas Huth, Insa Jebens, Artur Molin, Roman Pertl, Stefan Piskorz und Daniel Sempf sowie die Musiker zu Recht begeisterten Applaus. Eine musikalische Zugabe bildete den krönenden Abschluss des sehr gelungenen Premierenabends. Gut vorstellbar wäre, dass das Hessische Landestheater mit diesem unterhaltsamen und informativen Stück über Luther im Reformationsjahr noch durch die Lande tourt und vielen Menschen den Reformator in all seiner Vielschichtigkeit auf heitere Weise nahebringt.

* Franz-Josef Hanke

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