84 Jahre danach: Klaus Peter Friedrich über die Täter der Marburger Bücherverbrennung

„Die Täter der Marburger Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933“ waren am Mittwoch (10. Mai) Thema eines Vortrags von Dr. Klaus Peter Friedrich. Im vollbesetzten Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) referierte der Historiker über die Quellenlage und die beiden Hauptakteure.
Friedrich ist Mitglied der Geschichtswerkstatt Marburg und Mitverfasser der Stadtschrift über die Verbrechen der Marburger Jäger sowie der erst kürzlich erschienenen Untersuchung zur Geschichte der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Eingeladen zu seinem Vortrag am 84. Jahrestag der Bücherverbrennung hatte ihn Die Linke Marburg.
Sein Augenmerk richtete der Referent vor allem auf die beiden Haupttäter der Bücherverbrennung in Marburg. Sowohl Kurt Hübner als auch Hanns Joachim Stoevesand waren Verbindungsstudenten.
Die Vorgaben aus Berlin zu einer nationalen Kampagne der „deutschen“ Studenten gegen „undeutsches Schrifttum“ setzten sie in Marburg auf ihre eigene Weise um. Dabei taten sich beide durch besonderen Eifer und hetzerische Parolen hervor.
Bereits 1932 war Hübner in den Vorstand der Allgemeinen Marburger Studentenschaft (AMSt) gewählt worden. In dieser Funktion organisierte er die Sommersonnenwendfeier 1932. Zudem breitete er eine Protestdemonstration gegen die Verhaftung des Jugendführers Baldur von Schirach an, die Oberbürgermeister Johannes Müller jedoch verbot.
Hübner war Mitglied der Teutonia Marburg. Die Studentenverbindung hat jedoch eigenen Angaben zufolge keine Unterlagen mehr über ihre Mitglieder während der Nazi-Zeit.
1933 wurde Hübner zum Vorsitzenden der AMSt gewählt. Unter seiner Führung zogen Studenten verschiedener Corps und des Nationalsozialistischen deutschen Studentenbunds (NSdSB) am Abend des 10. Mai 1933 zum Kempfrasen, wo sie Bücher verschiedener Autoren den Flammen übergaben. Die Hauptrede dort hielt der Referendar Stoevesand.
Die Bücher hatten die Studenten zuvor im eigenen Bücherregal, bei Nachbarn und Bekannten eingesammelt. Ihr Versuch, auch die entsprechenden Exemplare der Universitätsbibliothek den Flammen zu übergeben, scheiterte jedoch an der Weigerung des Bibliotheksdirektors. Stattdessen richtete er eigens einen Raum ein, in dem die bis zu 15.000 Titel verschlossen aufbewahrt wurden.
Stoevesand machte zunächst Karriere in der Politik. Vorübergehend war er auch Stadtverordneter in Marburg, bevor er 1942 im Krieg fiel.
Hübner überlebte den Zweiten weltkrieg als Soldat in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Nach Kriegsende musste er sich vor einer Spruchkammer für seine Aktivitäten während des „Dritten Reichs“ verantworten.
Im ersten Verfahren wurde er in die höchste Kategorie „1“ als Anführer eingestuft. Ihm wurde eine maßgebliche verantwortung für die Durchsetzung der Nazi-Gewaltherrschaft in Marburg attestiert.
Damit wurde seine Schuld genauso hoch eingestuft wie die des Reichspropagandaministers Josef Göbbels und aller anderen Nazi-Größen. Hübner wurde zu 20 Jahren Haft und dem Verbot aller weiteren politischen Betätigung verurteilt.
In zweiter Instanz wurde er dann in die Kategorie „2“ eingeordnet. Am Ende schließlich wurde er als „Mitläufer“ zu zwei Jahren Haft verurteilt, von denen er allerdings nur ein Teil absitzen musste.
Nach seiner Entlassung arbeitete Hübner als Regionalreporter bei einer Zeitung im Main-Taunus-Kreis. 1968 starb er bei einem selbst verschuldeten Autounfall.
Nach Friedrichs Einschätzung ist es durchaus möglich, dass Hübner sein Fehlverhalten eingesehen hat. Jedenfalls zeige sein weiterer Lebenslauf keine rassistische oder rechte Gesinnung mehr, sondern vielmehr eine strikte Abstinenz von jeglicher politischen Betätigung. Allerdings habe Hübner seine Rolle während des Studiums in Marburg immer heruntergespielt oder ganz verschwiegen.
Unterstützung erhielt Hübner damals nicht nur von seinem Kameraden Stoevesand, sondern auch von der Oberhessischen Zeitung. Ihre Berichte über eine massenhafte Beteiligung an der Bücherverbrennung hält Friedrich für wenig glaubwürdig. Leider gebe es aber keine Zeugnisse unbeteiligter Zeitzeugen etwa in Tagebüchern oder andere seriöse Dokumente, bedauerte der Historiker.
Am Tag der Bücherverbrennung habe es geregnet und es sei sehr dunstig gewesen. Zudem fand das Ereignis auch erst am Abend statt, sodass davon keine Fotos existieren.
Auf eine Frage aus dem Publikum nach einer widerwärtigen Aktion in der Oberhessischen Zeitung musste Friedrich passen. Am Tag der Bücherverbrennung waren dort Todesanzeigen für Siegfried Jacobsohn und zwei weitere Marburger Professoren abgedruckt worden. Später nahm Jacobsohn sich aufgrund des Drucks seitens der Universitätsleitung und der nationalsozialistischen Studenten das Leben.
Moderatorin Inge Sturm regte für den 10. Mai 2018 eine öffentliche Lesung aus verbrannten Büchern an. Zudem kündigte sie an, Die Linke werde in der Stadtverordnetenversammlung (StVV) einen Antrag stellen, dass am Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) eine Gedenktafel angebracht werden solle. Das Gebäude steht heute genau dort, wo 1933 die Bücherverbrennung stattgefunden hat und von wo 1920 bereits Marburger Studenten ins thüringische Mechterstedt aufgebrochen waren, um dort streikende Arbeiter zu erschießen.
Die Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln kommunaler Geschichte sei eine wichtige Aufgabe, betonte Friedrich abschließend. Sie könne davor schützen, populistischen parolen hinterherzulaufen und Gewalt als Mittel der Politik zu verherrlichen.

* Franz-Josef Hanke

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