Éva Pusztai-Bélané ist Überlebende des Holocaust. Mit einem ergreifenden Vortrag berichtete sie im Erwin-Piscator-Haus über ihr Überleben.
Auf Einladung der Universitätsstadt Marburg, der Jüdischen Gemeinde Marburg und des Vereins der Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer sprach Pusztai-Bélané über einen der schwersten Angriffe auf die Menschlichkeit in der Geschichte der Zivilisation. Wie gelang ihr das Überleben? Was gibt ihr bis heute Kraft zum Weiterleben?
Das große Foyer platzte aus allen Nähten, weit mehr als 200 Menschen waren gekommen und nicht alle fanden trotz zahlreicher weiterer in den Raum getragener Stühle einen Sitzplatz.
„Angesichts aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen in ganz Europa ist ein Abend wie dieser ein Ausdruck des höchsten Respekts und der Besinnung“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „In Marburg und Deutschland ist Schreckliches passiert“, betonte der Oberbürgermeister.
Es seien Marburgerinnen und Marburger gewesen, die ihre Nachbarn denunzierten und sich somit an der systematischen und industriellen Verschleppung und Ermordung schuldig gemacht haben. „Wir gedenken der vielen Millionen Biografien, die nie gelebt wurden“, sagte Spies.
„Ihnen, Éva Pusztai-Bélané, mit Ihrem beeindruckenden Lebensmut zuhören zu dürfen, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Danke, dass Sie nach Marburg gekommen sind!
Pusztai-Bélané wurde am 22. Oktober 1925 in Debrecen (Ungarn) als Tochter eines Holzhändlers und seiner Frau geboren. Mit der Besetzung Ungarns durch die deutsche Wehrmacht kam die Familie ins Ghetto und im letzten Transport am 27. Juni 1944 wurde schließlich auch sie mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert.
Ihre Eltern und ihre Schwester überlebten nicht. Pusztai-Bélané wurde dann nach Stadtallendorf transportiert, wo sie in Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie arbeiten musste. Auf einem so genannten Todesmarsch im März 1945 wurde sie von amerikanischen Truppen befreit und kehrte nach Ungarn zurück.
Heute engagiert sich Pusztai-Bélané mit der Gedenkstätte Buchenwald dafür, dass das Schicksal jüdischer Frauen nicht in Vergessenheit gerät. Auch die aktuellen Entwicklungen in Ungarn lassen Pusztai-Bélané nicht aufhören, gegen die Umdeutung der Vernichtung ungarischer Juden einzutreten und Lesungen wie diese in Marburg durchzuführen.
Vor dem Marburger Publikum sprach die heute in Budapest lebende Autorin frei über das, was in ihrem Buch „Die Seele der Dinge“ nachzulesen ist. Sie freue sich sehr, dass vor allem so viele junge Menschen gekommen seien, um ihr zuzuhören.
„Ich weiß, dass durch Hass Angst kommt; und daraus wird wieder Hass“, sagte sie zum Anfang. „Und das heißt nur Schlechtes.“
„Das Schlimmste war, dass ich so viele Menschen verloren habe“, berichtete Pusztai-Bélané. Sie habe eine große Familie gehabt. „Es war immer fröhlich“.
Von Antisemitismus in ihrem Heimatland habe sie bis zum deutschen Einmarsch 1944 noch nichts mitbekommen. Den habe es aber gegeben, Ungarn habe bereits vor ihrer Geburt ein antijüdisches Gesetz verabschiedet und lange vor dem Einmarsch Regeln der Nationalsozialisten eingeführt.
Mit den Deutschen habe sich ihr Leben radikal verändert. „Auf einmal war auf der Straße alles feindlich“ und schließlich sei ihre Familie deportiert worden. Drei Tage lang habe der Transport mit 80 Menschen in einem Viehwagen unter schlimmsten Bedingungen gedauert.
Aber sie und ihre Familie hätten gedacht, nur arbeiten zu müssen. „Wir haben nicht geglaubt, was tatsächlich geschieht.“
In Auschwitz angekommen, habe der berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele sie und ihre Cousine, die sich ähnlich sahen, gefragt, ob sie Zwillinge seien, was sie verneinten. Daraufhin sei sie von ihrer Cousine und dem Rest der Familie getrennt worden. „Plötzlich war ich alleine.“
Erst später habe sie auf die Frage, was aus den anderen geworden sei, erfahren, dass sie ermordet wurden. Geantwortet wurde ihr „mit einem Lachen und dem Fingerzeig auf den Rauch der Krematorien“. Pusztai-Bélané berichtete von „Fetzen, die uns statt unserer Kleidung zugeworfen wurden“, von ungenießbarem Essen und den unmenschlichen Zuständen.
Fünf junge Frauen, die sich aus der Schule in ihrem Heimatort kannten, seien sie noch gewesen. Sie hätten Arbeitsfähigkeit demonstriert, um zu überleben, denn nur die habe vor der Gaskammer geschützt. „Und wir haben alle fünf überlebt.“
In Stadtallendorf habe sie sehr schwere Granaten tragen müssen. „800 am Tag, das kann ich mir heute nicht mehr vorstellen, aber, wenn man muss, dann kann man.“
Auch über den Marsch ganz am Ende des Krieges vor ihrer Befreiung berichtete sie noch, sie habe vor Blasen kaum laufen können „barfuß in Holzschuhen“.
Pusztai-Bélané schrieb „Die Seele der Dinge“ als Zeugnis ihrer ersten 18 Lebensjahre erst, nachdem sie noch einmal „dorthin“ zurückgekehrt war. Sie tat es, um ihr Schweigen zu brechen und als berührende Hommage an ihre einst große und lebensfrohe jüdische Familie oder, wie der Verein „Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer“ in seinem Flyer schreibt, als „Triumph der Menschlichkeit über die Unmenschlichkeit.“
„Ich muss meine Geschichte erzählen“, betonte Pusztai-Bélané. „Denn es gibt wieder Töne, die den direkten Weg in die Gaskammer und das Krematorium zur Folge haben.“
Diese Töne habe sie schon einmal gehört. Ihre Generation wisse, wohin das führt. Deshalb müsse jeder Mensch versuchen, gut zu sein und keinem Lebewesen etwas Schlechtes anzutun, auch wenn das nicht immer leicht sei.
* pm: Stadt Marburg