Hagel trommelt an die Fensterscheiben. Das sieht nicht gut aus für den Rosenmontagszug, denke ich.
Die Wettervorhersage hat für Montag (4. März) Gewitter und Sturm vorrausgesagt. In Köln und Mainz wurden schon Sicherheitsmaßnahmen wie der Verzicht auf hohe Stangen und Transparente, Pferde und Kutschen getroffen, der Umzug in Fulda wurde ganz abgesagt.
Dennoch machen mein blinder Kollege und ich uns fröhlich auf dem Weg zum Umzug. Genau in diesem Moment hört es erfreulicherweise auf, zu regnen.
Der Marburger Rosenmontagszug findet seit 1978 jedes jahr statt. Eingeführt wurde diese Tradition in der mittelhessischen Universitätsstadt durch den – aus dem Rheinland stammenden – damaligen Verkehrsdirektor Hans-Christian Sommer.
Der Geldautomat in der Ketzerbach funktioniert nicht. Unvollrichteter Dinge gehen wir weiter. Immer wieder begegnen uns währenddessen verkleidete Menschen. Bienen, Schlümpfe, Panzerknacker, alles ist dabei.
Am liebsten verkleiden sich die Deutschen als Fantasie und Märchenfigure. Das hat eine Studie von Statista ergeben.
Die ganze Straße ist bunt. Mein Kollege ist als Kasper verkleidet, ich habe eine Baskenmütze auf. Wir unterhalten uns gut, er singt Karnevalslieder aus Köln, ich lache.
Der Himmel ist bewölkt, manchmal fallen ein paar Regentropfen runter.
Wir gehen beim Cineplex entlang zur nächsten Bank. Dort warnt uns eine Frau vor einem Geldautomaten, in dem noch ihre Karte steckt. Ohne Geld gehen wir weiter.
Der Anfang des Zuges ist unser Ziel. Um 13 uhr 33 soll er in der Universitätsstraße starten. Ich erschrecke sehr, als mein Begleiter auf einmal ganz laut „Alaaf“ brüllt.
Während man in Köln Alaaf sagt, sagt man nur wenige Kilometer weiter nördlich, in Düsseldorf, Helau. In Marburg lautet der Karnevalsruf ebenso wie in Mainz übrigens auch Helau.
Wir gehen zum Anfang des stehenden Zuges. Wir schauen und hören uns um. Laute Musik dröhnt aus großen Boxen auf Karnevalswagen, bunt verkleidete Menschen stehen auf den Ladeflächen und tanzen. Während wir an ihnen vorbei gehen, hellt sich der Himmel allmählich auf.
Dann beginnt der Umzug auch schon. Am ersten Wagen sind Luftballons angebracht. Kinder freuen sich über die Kamelle; mein Begleiter singt Karnevalslieder.
Dann kommen die ersten Tanzmariechen. Leider tanzen sie nicht, sondern laufen nur mit.
Ursprünglich stellten die Tanzmariechen Marketenderinnen des Militärs dar. Bis zur Machtübernahme der Nazis traten an Karneval nur Männer als Tanzmariechen auf. Aus homophober Angst vor Transvestiten mussten das dann Frauen übernehmen.
Die nächsten Wagen im marburger Rosenmontagszug sind ziemlich ähnlich, die Musik aber unterschiedlich. Insgesamt sind es acht Wagen, die an uns vorbeifahren. Dann ist der Zug auch schon zu ende.
Der längste Karnevalszug Deutschlands findet in Köln statt. Dort dauert es fünf bis sechs stunden bis alle Wagen und Fußgruppen vorbeigezogen sind.
Angesichts des kurzen Zuges laufen wir kurzerhand mit den Karnevalswagen mit. Ich sammle viele Bonbons und Popkorntüten. Dabei begleiten wir die gespielte Musik mit unseren zauberhaften Stimmen.
Um uns herum sind viele Menschen, der Himmel ist bewölkt. Derzeit regnet es aber nur Kamelle.
An Karneval werden Süßigkeiten geworfen, damit man vor der Fastenzeit noch reichlich süßigkeiten essen kann. So ist Karneval auch eher in katholisch geprägten Gegenden heimisch als in der protestantischen Metropole Marburg.
Durch die Universitätsstraße laufen wir bis zum Rudolphsplatz mit den Wagen mit und bleiben dort stehen. Wir genießen die Stimmung und die Musik. Nach einer halben Stunde gehen wir schließlich wieder nach hause.
Gerade als wir vor der Tür ankommen, kommt ein heftiger Regenschauer herunter. Zum Glück können wir ins Haus gehen und es uns drinnen mit Berlinern gemütlich machen.
Im Radio wird mitgeteil, das wegen des Sturms in Wiesbaden der Strom ausgefallen ist. Ob die Geldautomaten dem Stromausfall oder dem närrischen Treiben zum Opfer gefallen sind, ist ungewiss.
Den Narren, die beim Hauptbahnhof standen, ist es leider nicht so gut ergangen wie uns. Noch vor Erreichen des Zielpunkts am Alten Gaswerk im Afföller wurde der Marburger Rosenmontagszug 2019 vorzeitig abgebrochen.
Insgesamt war die Stimmung bis dahin aber sehr ausgelassen. Leider gab es hier jedoch keine politischen Wagen mit originellen Motiven wie in den großen Karnevalsmetropolen.
Seinen langen Namen hat der marburger Rosenmontagszug mit nur acht Zugnummern auch nicht wirklich verdient. Aber darüber wollen wir lieber nicht meckern. Wäre der Zug länger gewesen, wären nämlich auch wir ziemlich nass geworden.
* Luca Mittelstaedt
Pingback: Stürmischer Sonntag: Bahnstrecke von Frankfurt nach Kassel gesperrt – marburg.news