Am Hindurchgehen: Neuer Mechanismus beeinflusst Ionenkanäle

Mit einem neu entdeckten Mechanismus lassen sich Ionenkanäle zielgerichtet blockieren. Das weckt die Hoffnung auf Behandlungsmöglichkeiten bei Vorhofflimmern und weiteren Erkrankungen.
Über diese „zielgerichtete Blockade aus dem Hinterhalt“ schreibt eine Forschungsgruppe unter Marburger Leitung im Wissenschaftsmagazin „eLife“. Das Team ist auch an einem aktuellen Aufsatz in der Zeitschrift „Science“ beteiligt, in dem es ebenfalls um die molekulare Steuerung von Kaliumkanälen geht.
Herzrhythmusstörungen und Atemstillstände während des Schlafs haben eines gemeinsam, so unterschiedlich diese Krankheitsbilder auch sind: Sie lassen sich wahrscheinlich durch Ionenkanäle beeinflussen, die für die elektrische Erregbarkeit der Zellen zuständig sind. Das gilt speziell für die sogenannten „TASK-Kanäle“.
„Bislang gibt es keine Medikamente, die genau diese Ionenkanäle zielgerichtet blockieren“, erklärte der Physiologe Prof. Dr. Niels Decher von der Philipps-Universität, der die Studie leitete. „Daher besteht ein hoher medizinischer Bedarf, neue Angriffspunkte an diesen Kanälen zu finden und neuartige Mechanismen zu entdecken, die zu ihrer Blockade führen.“
Viele Körperfunktionen beruhen auf elektrischen Signalen. Beispiele sind etwa die Nerventätigkeit oder der Herzschlag.
Die elektrischen Signale kommen dadurch zustande, dass sich im Inneren von Zellen andere elektrisch geladene Teilchen befinden als außerhalb. Dabei handelt es sich um sogenannte Ionen.
Für die ungleiche Verteilung sorgen Kanäle, durch die elektrisch geladene Teilchen von einer Seite der Membran auf die andere gelangen; auf diese Weise baut sich ein elektrisches Potenzial über der Membran auf, die jede Zelle umhüllt.
Die Forschungsgruppe verglich verschiedene Wirkstoffe, die Ionenkanäle vom TASK-Typ hemmen. Dabei zeigte das Narkosemittel Bupivakain eine unerwartete Wirkung, das in der Medizin zur örtlichen Betäubung eingesetzt wird.
„Überraschenderweise blockiert Bupivakain vorzugsweise den nach außen gerichteten Teilchenstrom des Kanals, sobald sich das Membranpotenzial ändert“, berichtete Privatdozentin Dr. Susanne Rinné aus Dechers Arbeitsgruppe. Sie ist eine der beiden Erstautoren des wissenschaftlichen Aufsatzes. Dergleichen wurde bisher noch nicht beobachtet.
Das Team suchte anschließend nach der Stelle, an der Bupivakain ansetzt, wenn es den Kanal blockiert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten dafür molekulare Techniken, aber auch computergestützte Simulationsverfahren.
Das Ergebnis erstaunte die Forschenden: Das Narkosemittel greift an einer seitlichen Einbuchtung an, die von der zentralen Durchflussöffnung des Kanals abzweigt. „Erstaunlicherweise befindet sich das Medikament so weit seitlich in dieser Höhlung, dass es keinen Porenverschluss des Zentralkanals verursacht“, erläuterte Rinnés Kollege Dr. Aytug K. Kiper, der sich mit ihr die Erstautorenschaft teilt.
„Was wir entdeckt haben, ist ein ganz neuer Mechanismus, der noch nie zuvor geschildert wurde“, legte Decher dar. Bisherige Kanal-Hemmstoffe greifen bevorzugt an der zentralen Tunnelöffnung an.
Da sie bei allen Kanaltypen vorkommt, wirken solche Substanzen nicht zielgerichtet, sondern auf alle Kanaltypen gleichermaßen. „Die von uns entdeckte Bindungsstelle und der bislang unbekannte Hemm-Mechanismus können künftig dazu verwendet werden, zielgerichtete Kanalblocker zu finden, die dringend für die Therapie des Atemstillstands im Schlaf und des Vorhofflimmerns benötigt werden“, führte der Studienleiter aus.
Fast gleichzeitig berichtet ein internationales Forschungsteam in der Wissenschaftszeitschrift „Science“ über einen molekularen Mechanismus, der die Öffnung von Kaliumkanälen unterschiedlichen Typs bewirkt. Auch an dieser Veröffentlichung hat das Marburger Team mitgewirkt.
Decher lehrt Physiologie an der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich an der Studie weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität Kiel sowie aus Oxford und Chile. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie die chilenische Förderorganisation „FONDECYT“haben die zugrunde liegenden Arbeiten unterstützt.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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