Mächtig Geschichte gemacht: Die Zaungäste schlüpften in den Körper von Helmut Kohl

„Helmut Kohl, gab´s den eigentlich wirklich?“ Diese Frage stellen sich „Die Zaungäste“ ganz zu Beginn ihrer Performance.
Als „Artists in Residence“ hat das Performerteam „Die Zaungäste“ im Hessischen Landestheater Marburg (HLTM) in Kooperation mit dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt und mit Unterstützung der „Frankfurter Positionen 2019“ ein eigenes Stück über Helmut Kohl und den Körper als Ausdruck von Macht entwickelt. Die Produktion „Es ist doch eine schöne Sache, über Kanzlerkandidaten zu reden und dabei Blutwurst zu essen feierte am Samstag (2. Februar) unter der Regie von Susanne Zaun und Marion Schneider-Bast Premiere im Theater am Schwanhof (TaSch).
Ebenso wie der Titel ist leider auch das Stück ein bisschen zu lang ausgefallen. Allerdings ist das nicht der Menge des Inhalts geschuldet, sondern seiner dauernden Wiederholung in unterschiedlichen Segmenten. So sehr die Idee einer Segmentierung eines Berichts von Kohl auch grundsätzlich überzeugt, so bedauerlich ist die Überdehnung dieser guten Idee.
Natürlich hat auch Kohl unerträglich lange regiert. Dennoch hätte eine Kürzung der Wiederholungsspirale dem – ansonsten sehr gelungenen – Stück sicherlich gut getan. Kohls Aussagen zu seinem Spitznamen „Birne“ wiederholten die Performerinnen ebenso wie die Geschichte über den Parteitag in Bremen, an dem Kohl im September 1989 trotz einer schweren Erkrankung teilnahm.
Gerade diese dramatische Geschichte über die Abwahl von Lothar Späth und den Sturz von Heiner Geißler erzählten sie immer wieder und wieder. Dabei setzten sie an verschiedenen Stellen ein und erzählten nur Ausschnitte, aus denen sie dann mal die gesamte Geschichte zusammenfügten und die sie dann wieder nur als Fragment stehenließen. Sehr gekonnt imitierten alle fünf dabei den pfälzer Einschlag Kohls mit seinem charakteristischen „Sch“ anstelle des „Ch“ und dem typischen Tonfall des Ludwigshafeners.
Allerdings wollte diese Darstellung dann kein Ende mehr nehmen. Im Publikum wurden bereits genervte Bemerkungen laut, während die Darstellerinen die Szene noch mindestens weitere fünf Minuten lang wiederholten.
Die anschließende Szene über Stühle war dann wieder sehr gekonnt. Ob den „Zaungästen“ wohl die Geschichte des Stuhls ekannt ist, den Hausmeister Hans Schira beim Besuch Kohls im Historischen Saal des Marburger Rathauses eigens für den Dicken verbreitern musste?
Zur besseren Veranschaulichung seiner Größe schlüpften gleich fünf Performerinnen in den mächtigen Körper des einstigen Kanzlers. Katharina Runte, Judith Altmeyer, Asja Mahgoub, Katharina Speckmann und Isabelle Zinsmaier ahmten typische Gesten des Pfälzers so gekonnt nach, dass das Publikum immer wieder in Gelächter ausbrach. In einer eindrucksvollen Choreografie von Ekaterine Giorgadze bewegten sich die fünf jungen Frauen dabei meist absolut synchron, was ihrer Darstellung noch mehr Witz und Durchschlagskraft verlieh.
Gleich drei Darstellerinnen versuchten, zusammen in die riesige Jacke Kohls zu schlüpfen. Der Kampf mit dem Körper war dabei zugleich auch Ausdruck des Bemühens um Macht. Der mächtige Körper Kohls verlieh seinen Worten im wahrsten Sinne des Wortes Gewicht.
Eigentlich waren viele seiner Reden banal; doch die Wucht des Redners verlieh ihnen wenigstens physische Größe. Irgendjemand hat einmal gesagt: „Wenn Helmut Kohl eine große Rede vorliest, dann hört sich das an wie das Telefonbuch; und wenn Richard von Weizsäcker das Telefonbuch vorliest, klingt das wie eine große Rede.“
Am Ende des Abends stand dann aber doch eine wichtige Rede von Kohl. Seine Aussagen zu Europa sind gerade in jüngster Zeit wieder brandaktuell.
Insgesamt erntete das Performerkollektiv viel Applaus und Zustimmung beim Publikum. Weniger Wiederholung wäre wohl auch hier mehr gewesen, aber das Mehr passt eben zu dem Dicken aus Oggersheim. Im Titel hätte sich „Saumagen“ vielleicht auch eher angeboten als „Blutwurst“, aber ansonsten war diese Aufführung eine gelungene und vor allem darstellerisch überaus gekonnte Auseinandersetzung mit Macht, Geschichte, Politik und mit menschlichen Schwächen.

* Franz-Josef Hanke

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