„Auch in Marburg ist die Stimmung schlechter geworden“, bemerkt ein Flüchtling aus Syrien. „Ich kann nicht mehr“, seufzt eine Afrikanerin.
Die Debatten über die Seenotrettung im Mittelmeer gehen nicht spurlos an den Geflüchteten vorüber. Ein junger Afrikaner ist auch über die mittelmeerroute gekommen. Längst warnt er seine Landsleute vor diesem gefährlichen Weg, doch daheim lauert auf sie wie auf ihn Lebensgefahr.
„Wenn wir Dich noch einmal antreffen, bringen wir Dich um“, hatten die Gefängniswärter ihm gedroht, bevor sie ihn nach einmonatiger Haft mit mehreren Folterungen entließen. Vor der eritreischen Regierung war seine Mutter mit ihm nach Äthiopien geflohen, wo der Junge nur illegal die Schule besuchen konnte. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis sammelten die Bewohner des Slums Geld für ihn, damit der Jugendliche fliehen konnte.
Zwischen Äthiopien und Eritrea bahnt sich nun Frieden an. Doch immer noch arbeiten im Gefängnis die Folterer und bei der Polizei diejenigen, die vermutlich seinen Onkel und seinen Vater ermordet haben.
Der junge Mann aus Syrien musste nach einem Kopfschuss fliehen. Behandelt wurde er in seiner Heimatstadt nicht, weil dort die Rebellen gegen das Assad-Regime das Sagen hatten. Die Regierungstruppen ließen ihn nicht heraus, weshalb er mit verbundenem Kopf auf allen Vieren durch einen Tunnel unter der Umgehungsstraße hindurch flüchten musste.
Die Afrikanerin wurde beschuldigt, ein Plakat der Regierungspartei abgerissen zu haben, das neben ihrem Laden hing. Erst nach der Inhaftierung schloss sie sich der Opposition an. Über ihre Erfahrungen während der Haft kann die junge Frau nicht sprechen.
Das sind nur drei von Hunderten erschütternder Schicksale, die Menschen nach Marburg getrieben haben. Jedes einzelne Schicksal ist ein Grund, am Montag (16. Juli) um 17 Uhr auf dem Marktplatz an der Kundgebung „Menschenrechte erhalten: Für Asyl – gegen Politische Verrohung!“ teilzunehmen. Veranstaltet wird sie von der Gruppe „200 nach Marburg“ und vom „Kerner-Netzwerk“.
Wer darüber diskutiert, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder sie nach Libyen zurückzuschicken, der hat jedes Maß an Empathie verloren. Allein schon solche Debatten treffen traumatisierte Flüchtlinge ins Mark. Wenn die Europäische Union (EU) mit ihren 500 Millionen Bürgern es nicht schafft, fünf Millionen Geflüchtete aufzunehmen, dann sollte sie nach Meinung des ehemaligen Bundesministers Norbert Blüm „moralische Insolvenz“ anmelden.
* Franz-Josef Hanke