Das Protein „VAPB“ gibt sowohl den Takt des Herzens vor als auch den Rhythmus, in dem Nervenzellen feuern. Das schreibt eine europäische Forschungsgruppe unter Marburger Leitung im Fachblatt „The FASEB Journal“.
Ihre Studie veröffentlichten sie in der Zeitschrift des Bundes der Amerikanischen Gesellschaften für experimentelle Biologie (FASEB). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben aufgeklärt, wie VAPB auf Kanäle einwirkt, die elektrisch geladene Teilchen von einer Seite der Zellmembran auf die andere schleusen.
Nicht nur das Herz schlägt in einem gleichbleibenden Rhythmus; auch in Hirn und Nervensystem finden sich regelmäßig feuernde Nervenzellen. „Nur wenn wir die zugrunde liegenden Mechanismen genau kennen, lassen sich die physiologischen Ursachen von Krankheiten wie Herzrhythmusstörungen und Epilepsie erklären und wirkungsvoll behandeln“, erläuterte der Physiologe Prof. Dr. Niels Decher von der Philipps-Universität, der die Studie leitete.
Die „Amyotrophe Lateralsklerose“ (ALS) oder Charcot-Krankheit ist eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems, die sich in Lähmungen und Muskelschwäche äußert. Einer der bekanntesten Betroffenen war der britische Astrophysiker Stephen Hawking. Durch die Arbeiten der Marburger Forscher weiß man nun ein wenig mehr über die Ursachen von ALS.
Das Team nahm ein Protein unter die Lupe, von dem bekannt ist, dass es bei ALS nicht richtig funktioniert. Viele Körperfunktionen beruhen auf elektrischen Signalen und deren Weiterleitung. Dazu zählen etwa die Nerventätigkeit oder der Herzschlag. Die elektrischen Signale kommen zustande, indem geladene Teilchen –
sogenannte Ionen – innerhalb der Zelle anders verteilt sind als außerhalb, so dass eine elektrische Spannung entsteht. Für die ungleiche Verteilung sorgen Kanäle in der Zellmembran, durch die elektrisch geladene Teilchen von einer Seite der Membran auf die andere gelangen.
Zu den Kanälen, die die resultierende elektrische Spannung ausnutzen, gehören auch so genannte HCN-Kationenkanäle, die sich hauptsächlich in Herz und Nervensystemfinden. Wenn sie durch Spannung aktiviert werden, führen HCN-Kanäle zur Durchlässigkeit der Zellmembran für positiv geladene Teilchen. Der durch sie erzeugte elektrische Strom wirkt als Schrittmacher an der Kontrolle des Herzrhythmus mit und fördert die rhythmische Aktivität in Nervenzellen.
„Wie diese Kanäle im Gewebe vorliegen, ist wenig verstanden“, erläuterte Dechers Mitarbeiterin Nicole Silbernagel. Sie ist die Erstautorin der Studie.
Zum Beispiel war bislang nicht bekannt, wie die Kanalproteine mit weiteren Molekülen zusammenwirken, die deren Aktivität verstärken oder abschwächen. Die Fachleute bezeichnen sie als „Modulatoren“. Decher und sein Team untersuchten den Modulator „VAPB“ als dasjenige Protein, dessen Funktionsausfall zur ALS-Erkrankung führt.
„Ursprünglich wurde VAPB als Protein beschrieben, das an der chemischen Signalübertragung im Nervensystem beteiligt ist“, legte Decher dar. Die Wissenschaftler erforschten VAPB, indem sie das Molekül in Zellen einschleusten oder daraus entfernten und studierten, welche Effekte sich daraus ergeben.
Das Ergebnis erklärten sie in ihrer Studie: Liegt VAPB in einer Zelle vor, so verstärkt sich der Strom, der durch HCN-Ionenkanäle fließt. Fehlt VAPB, so kommt es zu verlangsamtem Herzschlag. Vermutlich ist der Grund, dass die Schrittmacher-Kanäle nicht mehr moduliert werden können.
„Wir zeigen, dass VAPB eine essentielle Komponente neuronaler und kardialer Schrittmacher ist“, schrieben die Autorinnen und Autoren. „Unsere Befunde sind für das Verständnis von Herzrhythmusstörungen und Epilepsie von Belang; sie offenbaren eine unerwartete Verbindung zwischen Herz- und Hirnrhythmusstörungen.“
Decher lehrt Vegetative Physiologie an der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich an der Studie zahlreiche weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Marburg und von anderen Universitätsstandorten in der Bundesrepublik sowie in Großbritannien und Frankreich. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und weitere Forschungsförderer unterstützten die zugrunde liegenden Arbeiten.
* pm: Philipps-Universität Marburg