Ein Konzept zur Bürgerbeteiligung wird seit einem Jahr erarbeitet. Jetzt liegt ein Vorschlag mit einem Leitbild, klar definierten Zielen und 25 Maßnahmen zu ihrer Realisierung auf dem Tisch.
Rund 300 Menschen haben seither mitgemacht. Die meisten haben das ehrenamtlich getan. Gemeinsam haben sie mehr als 2.000 Stunden eingebracht.
Im Juli 2016 hatte die Stadtverordnetenversammlung (StVV) beschlossen, dass die Stadt Marburg ein Konzept zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern entwickeln soll. Dass das ganz im Sinne der Marburgerinnen und Marburger ist, bestätigte die repräsentative stadtweite Umfrage im Herbst 2017: 95 Prozent der Befragten stimmten der Aussage „voll und ganz“ oder „eher“ zu, dass Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an stadtpolitischen Themen wichtig ist. Drei Viertel der Befragten gaben an, sie wollten ihre Meinung in stadtpolitische Prozesse einbringen.
Nun ist der rund 50-seitige Entwurf für das Beteiligungskonzept fertig. Das Stadtparlament wird darüber entscheiden.
Der Konzeptentwurf stammt von der Koordinierungsgruppe Bürger/innenbeteiligung. In ihr haben Bürgerinnen und Bürger mit Stadtverordneten, Verwaltung, Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, der wissenschaftlichen Begleitung um Prof. Ursula Birsl, dem Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) sowie dem Ausländerbeirat neun Monate zusammengearbeitet. Weil es um die Beteiligung aller geht, wurde zudem noch die Gemeinwesenarbeit eingebunden.
„Es war ein aufwendiger Diskussionsprozess und ein konstruktiver Dialog, der sich gelohnt hat“, bedankte sich Griet Newiger-Addy. Die Leiterin der Bürger/innenbeteiligung weiß: „Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern setzt eine Kultur der Beteiligung voraus.“
Das bedeute, dass Verwaltung, Bürgerschaft und Politik bereit sind zum offenen Dialog, zur Suche nach guten Lösungen und Kompromissen. „Ich bin sehr beeindruckt, dass hier in Marburg alle Beteiligten eben diese Bereitschaft über den gesamten Prozess hinweg gezeigt und so einen guten Vorschlag erarbeitet haben.“
Im April 2017 kamen rund 200 Bürgerinnen und Bürger zur öffentlichen Auftaktveranstaltung im Erwin-Piscator-Haus (EPH) zusammen. Ihre Vorschläge und Ideen wurden gesammelt und ausgewertet.
Vier Arbeitsgruppen konkretisierten in jeweils bis zu drei Treffen die Vorschläge. Sie beschäftigten sich mit den Themen „Beteiligung an städtischer Planung“, „Inklusion und Vielfalt“, „Beteiligung auf Stadtteilebene“ und „Digitale Beteiligung“.
Dabei nahmen insgesamt 80 Personen teil. Mit ihren Ergebnissen arbeitete die Koordinierungsgruppe weiter.
Die Koordinierungsgruppe mit 23 Teilnehmenden kam im Oktober erstmals zusammen. Sie prüfte die bisherigen Vorschläge auf ihre Umsetzbarkeit und erarbeitete innerhalb von neun Treffen den Konzeptvorschlag zur Bürger/innenbeteiligung.
2.100 Stunden überwiegend ehrenamtlicher Arbeit stecken in dem nun vorliegenden – rund 50 Seiten umfassenden – Papier. Das Gros der Vorschläge wurde darin berücksichtigt.
Das Leitbild der Bürger/innenbeteiligung, das im Vorschlag steht, ist geprägt von fünf Grundsätzen: Transparenz, Umgang auf Augenhöhe, wertvolle Begegnung, nachvollziehbare Umsetzung von Ergebnissen sowie Inklusion und Vielfalt. Notwendig sind außerdem eine Kultur der Beteiligung und ausreichende Ressourcen – sprich Geld und Personal, mit denen das Beteiligungskonzept umgesetzt wird.
Kernstücke im Konzeptvorschlag sind mehr Transparenz und frühere Information zu wichtigen Vorhaben der Stadt durch eine Vorhabenliste, umfassende Beteiligungen bei ausgewählten Großprojekten, direkte Befragungen der Marburgerinnen und Marburger sowie ein Beteiligungsbeirat. Dazu kommen eine Online-Beteiligungsplattform für Online-Dialoge und mit Informationen zu den rund 40 Beteiligungsformaten, die es schon gibt. Der Konzeptvorschlag enthält außerdem Vorschläge für mehr Beteiligung auf Stadtteilebene, den Abbau von Hürden und vieles mehr.
Die Vorhabenliste soll online auf der Beteiligungsplattform der Stadt stehen. Sie informiert frühzeitig über wichtige Vorhaben der Verwaltung. Gelistet werden sollen all jene Vorhaben, die mehr als eine Million Euro Investitionsvolumen haben, das Stadtbild prägen oder neugestaltende städtebauliche Vorhaben sind.
Aufgelistet werden sollen zudem stadtweite wichtige Planungen aus den Bereichen Soziales, Sport, Jugend und Kultur. Die Liste enthält Informationen zum jeweiligen Zeitrahmen eines Vorhabens, zu den zuständigen Fachdiensten sowie dazu, ob und wie die Öffentlichkeit im konkreten Fall beteiligt wird.
Wie beim Pilotprojekt zur Beteiligung für den Wohnungsbau im Marburger Westen sollen bei wichtigen Vorhaben noch mehr unterschiedlichere Marburgerinnen und Marburger beteiligt und in stadtpolitische Belange einbezogen werden zum Beispiel durch Informationsschreiben für Haushalte, Vor-Ort-Dialoge und unterschiedliche Veranstaltungsformate. Die Koordinierungsgruppe empfiehlt, stadtweite Befragungen wie im Herbst 2017 in Zukunft stärker zu nutzen. Außerdem sollen durch Zufallsauswahl zusammengesetzte Gruppen verstärkt die Verwaltung beraten.
Neben der Vorhabenliste soll die Beteiligungsplattform für Online-Dialoge und weitere Online-Beteiligungsformen genutzt werden. Außerdem sollen hier gebündelt Informationen zu den rund 40 Beteiligungsformaten angeboten werden, die die Verwaltung betreut.
Die meisten dieser Formate sind freiwillig. Dazu zählen unter anderem die Beiräte, das Kinder- und Jugendparlament, die Beteiligung in der Dorfentwicklung und im Projekt „Soziale Stadt“.
Ein Beirat soll die Erfahrungen der Bürger/innenbeteiligung auswerten, ihre Instrumente weiterentwickeln sowie Empfehlungen für die Vorhabenliste und Beteiligungskonzepte abgeben. Die Koordinierungsgruppe schlägt als Teilnehmende für einen solchen Beteiligungsbeirat elf – per Zufall bestimmte – Einwohner, bis zu sieben Stadtverordnete sowie drei Mitarbeitende der Verwaltung vor.+
Die Einwohnern sollen dabei nach einem geschichteten Verfahren ausgewählt werden, damit möglichst alle Bevölkerungsgruppen der Stadt sowie alle Altersgruppen vertreten sind. Für den Vorsitz ist der Magistrat vorgeschlagen, als Geschäftsführung die Koordinierungsstelle Bürger/innenbeteiligung.
Schließlich enthält der Entwurf des Konzepts noch eine ganze Reihe weiterer Vorschläge wie zum Beispiel auch „Information in verständlicher Sprache“. Eine komplizierte – nicht-verständliche – Sprache stellt eine entscheidende Hürde für die Beteiligung ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen dar. Durch Fortbildungen für Verwaltung und Politik sollen Information und Kommunikation hier verbessert werden.
„Bürger/innenbeteiligung ist nicht statisch, sondern besteht aus einer Vielzahl einzelner Prozesse“, erläuterte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „In diesem Sinne bilden die in diesem Konzept vorgeschlagenen Maßnahmen einen Rahmen für künftige Beteiligungsprozesse in Marburg.“
So sei auch schon die Entwicklung des Konzeptvorschlags angelegt gewesen. „Die Beteiligung bedeutet für das Stadtparlament, dass es seine Ohren näher an den Bürgerinnen und Bürgern haben kann“, sagte Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk. Beteiligung ersetze keine Entscheidungen der StVV, aber sie verbessere sie.
Mit dem – nun vorliegenden – Konzeptvorschlag der Koordinierungsgruppe geht die Beteiligung direkt weiter. Das Papier steht ab sofort unter www.marburg.de/beteiligung zur Verfügung. Es ist auch selbst offen für Beteiligung.
Ab der 29. Kalenderwoche vom 16. bis 20. Juli bis voraussichtlich Sonntag (26. August) können alle Marburgerinnen und Marburger den Konzeptvorschlag direkt online kommentieren. Am Montag (3. September) findet um 18 Uhr außerdem eine öffentliche Veranstaltung dazu im EPH statt. Auch dort wird der Konzeptvorschlag öffentlich diskutiert.
Ziel ist, dass die Stadtverordnetenversammlung denKonzeptvorschlag zur Bürger/innenbeteiligung in ihrer September-Sitzung abschließend diskutieren und entscheiden kann. Die Kommentare aus dem Online-Dialog sowie der öffentlichen Veranstaltung werden den Stadtverordneten als Anhang zur Vorlage für die Diskussion zur Verfügung gestellt. Außerdem wird die Vorlage einen Anhang mit Angaben zu den Ressourcen enthalten, die für die Umsetzung des Konzepts nötig sind.
* pm: Stadt Marburg