Weniger wäre wirksamer: „Kinder der Sonne“ blieben im Dunkeln

„Wir sind alle Kinder der Sonne“, sagt der Chemiker Pavl Protasso. Das gleichnamige Stück von Maxim Gorki feierte am Donnerstag (29. März) Premiere.
Den sperrigen Stoff über unerfüllte Liebe, elitäre Arroganz und eine hilflose Menschenfreundlichkeit hat die Inszenierung von Nick Hartnagel aber leider nicht zum Strahlen erweckt. Vielmehr blieb die skeptisch-humanistische Aussage Gorkis bei der Premiere im trüben Halbdunkel. Dazu trugen zu viele selbstverliebte Regieeinfälle bei, die vom Kern ablenkten.
Das begann schon mit dem Aufzug der Darsteller im Foyer des Theaters am Schwanhof (TaSch). Im Stile einer Zirkusband zogen sie mit Trommeln und Rasseln in den Theatersaal ein, wobei die Protagonisten in einer schwer verständlichen Mischung aus Spanisch und Pseudo-Russisch vorgestellt wurden. Zur Erhellung trug diese clowneske Captatio Benevolentiae allerdings nicht bei.
Auch hatte Harnagel sich nicht wirklich entscheiden können, ob er Film- oder Theaterregisseur sein wollte. Ein viel zu großer Teil der Vorstellung bestand aus Videoeinspielungen, die eher Verwirrung stifteten als zur Erhellung der Geschichte beitrugen.
Nur einmal setzte er das Video wirklich gekonnt ein, als die Darsteller einer Szene kurz darauf von hinten durch den Theatersaal zur Bühne rannten. Ansonsten wirkte seine Inszenierung wie das angeberische Auftrumpfen eines Webdesigners mit den allerneuesten technischen Finessen.
Dass die Premiere dennoch nicht grandios unterging, ist allein den hervorragenden Leistungen der sechs Schauspieler zu verdanken. Ihnen zollte das Publikum am Ende zu Recht begeisterten Applaus.
Den besessenen Forscher Protasso verkörperte Camil Morariu absolut überzeugend. In seinem Elfenbeinturm bekommt er überhaupt nicht mit, dass seine Ehefrau Jelena sich allein aus Frust über seine Gleichgültigkeit ihr gegenüber dem Maler Wagin zuwendet. Ebensowenig erkennt er die Brisanz der revolutionären Umtriebe ringsum.
Seine sensible Schwester Lisa fand in Lene Dax eine mindestens genauso gute Darstellerin. Zwischen den Beschwichtigungen, sie solle sich wegen ihrer Krankheit doch bitte nicht aufregen, ist sie die Hellsichtigste der sechs Intellektuellen, die im Haus ihres Bruders verkehren.
Noch realitätstüchtiger ist nur Protassos Frau Lena. Victoria Schmidt brachte sie mit Einfühlungsvermögen und Leidenschaft geradezu grandios auf die Bühne und zwischen die Zuschauerränge.
Insa Jebens war am Premierenabend die Dritte im Bunde der herausragenden Schauspielerinnen. Ihre Rolle als Melania zeigte eine gebrochene Frau, die dem angebeteten Protasso uneingeschränkt zu Füßen liegt. Von Verzweiflung über Trauer bis hin zu bedingungsloser Unterwerfung und Entscheidungsstärke reichte das Spektrum dieses absolut gekonnt ausgebreiteten Charakters.
Dahinter ein wenig zurück fielen Karlheinz Schmitt als Maler Wagin und vor Allem Maximilian Heckmann als Tierarzt Tschepurnoj. Aber auch ihre schauspielerischen Leistungen waren durchweg überzeugend.
Umso bedauerlicher ist, dass Hartnagel die Chancen vertat, die das Drama von Gorki gerade in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen elitären Intellektuellen und gewaltbereiten Populisten böte. Dabei müsste eine gute Regie den Stoff zuspitzen und für das Publikum nachvollziehbar aufbereiten. Der Respekt vor dem Publikum besteht letztlich nicht in eitler Selbstinszenierung eigener Fertigkeiten, sondern in einer verständlichen Aufbereitung des Stoffs.
Trotz mancher Längen war der Abend indes immer noch sehenswert. Gorkis Maxime, Humanismus nicht nur zu predigen, sondern auch zu leben, hätte vielleicht noch ein wenig deutlicher zutage treten dürfen. Aber seine „Kinder der Sonne“ wissen ja auch nicht wirklich den richtigen Weg zu ihren durchaus menschenfreundlichen Zielen.

* Franz-Josef Hanke

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