Einen „molekularen Lichtschalter“ haben Forschende an der Philipps-Universität entwickelt. Das hat die Universität am Dienstag (2. September) mitgeteilt.
Ein Team der Philipps-Universität Marburg hat erstmals ein optochemisches Werkzeug entwickelt, mit dem das zentrale Sauerstoffsensorprotein „HIF1a“ des Körpers beeinflusst und die damit verbundenen Gene nach Belieben eingeschaltet werden können. Die Entdeckung von „HIF1a“ und dessen Funktion bei der Wahrnehmung und Anpassung von Zellen an die Sauerstoffverfügbarkeit wurde 2019 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die – von dem ehemaligen Mitarbeiter Dr. Marco van Tuan Trinhdem am Labor für Chemische Biologie von Prof. Dr. Olalla Vázquez geleitete Studie – beschreibt ein durch sichtbares Licht aktivierbares „Stapled Peptide“, das eine räumliche und zeitliche Kontrolle über „HIF1a“ ermöglicht.
Dieser Durchbruch wurde als „Hot Paper“veröffentlicht und erscheint auf der Titelseite der führenden Chemiezeitschrift „Angewandte Chemie“. Er zeigt, wie dieses Peptid unter Lichteinstrahlung eine künstliche Reaktion auf zellulärer Ebene auslösen kann, die normalerweise nur bei niedrigem Sauerstoffgehalt induz wird. Vázquez freute sich über die Anerkennung, „dass unsere Arbeit so hervorgehoben wird, zeigt, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft diesen Fortschritt in der optochemischen Steuerung schätzt.“
Die Bezeichnung „Hot Paper“ spiegelt insbesondere die Neuartigkeit der Verwendung eines Lichtschalters zur Beeinflussung zellulärer Sauerstoffreaktionen und insbesondere eines Proteins wie „HIF1a“ wider, das zahlreiche Anwendungen inspirieren könnte. Das von Prof. M. Eugenio Vázquez entworfene Titelbild bringt das Konzept auf den Punkt: es zeigt ein – durch Licht ausgelöstes – Getriebe, das den Abbau von HIF1a aufhält und so den Motor der Genregulation am Laufen hält.
Dieses eindrucksvolle Bild und die dahinterstehende Forschung vermitteln eine klare Botschaft: Mit dem richtigen molekularen Schalter können Wissenschaftler die komplizierten Schaltkreise des Lebens mit außergewöhnlicher Finesse steuern. Das photoschaltbare Peptid (PSB-BCB-04) des Vázquez-Teams funktioniert wie ein molekularer Lichtschalter.
Im Wesentlichen haben die Forschenden ein kleines Peptid mit einem lichtempfindlichen chemischen Linker „zusammengeheftet“, der seine Form ändern kann, wenn er bestimmten Wellenlängen des sichtbaren Lichts ausgesetzt wird. Die Bestrahlung mit grünem Licht führt zu einer Peptidkonformation, die eine enge Bindung an den für den HIF1a-Abbau verantwortlichen Proteinkomplex ermöglicht.
Das Peptid blockiert die EloBC-pVHL-Interaktion. Durch die Störung dieser Protein-Protein-Interaktion (EloBC-pVHL) bringt das Peptid die Zellen dazu, Hypoxie-Reaktionsgene unter nicht-hypoxischen Bedingungen zu aktivieren. Infolgedessen wird HIF1a auch unter normalen Sauerstoffbedingungen in der Zelle stabilisiert.
Bei Einstrahlung von blauem Licht ändert sich die Konformation des Peptids und damit der HIF1a-Spiegel sowie die Aktivität von HIF-gesteuerten Genen, wie dem vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGFA) – einem Gen, das an der Bildung von Blutgefäßen beteiligt ist. Diese Präzision, die nur durch den Einsatz von Licht ohne dauerhafte genetische Veränderungen erreicht wird, ist sowohl für die Forschung als auch für therapeutische Strategien auf dem Gebiet der Photopharmakologie von unschätzbarem Wert.
Diese Methodik eröffnet neue Wege, da sie eine präzise Kontrolle der Hypoxie-induzierbaren Faktoren (HIF) ermöglicht, die bei Krankheit und Heilung eine zentrale Rolle spielen. „HIF1a reguliert über hundert Gene, die am Sauerstofftransport, dem Wachstum der Blutgefäße, dem Stoffwechsel und der Immunfunktion beteiligt sind“, erklärte Vázquez. „Seine präzise Kontrolle ist medizinisch relevant bei Krankheiten wie Krebs, Ischämie, Anämie und Wundheilung.“
Tumore nutzen HIF1a, um bei Sauerstoffmangel zu überleben und Blutgefäße zu bilden, während seine Aktivierung die Reparatur von Gewebe und Nerven unterstützen kann. Das lichtgesteuerte Peptid des Marburger Teams bietet räumliche und zeitliche Präzision – es aktiviert HIF1a nur dort, wo und wann es benötigt wird – und maximiert so potenziell den Nutzen bei gleichzeitiger Reduzierung der Nebenwirkungen. Über HIF1a hinaus zeigt der Ansatz eine allgemeine Strategie auf: die Verwendung von auf Licht-reaktiven Peptiden zur Regulierung der Proteinstabilität und -interaktionen nach Bedarf. Angepasst an andere Systeme könnte dies den gezielten Proteinabbau verbessern und bestehende Instrumente wie Proteolyse-Targeting-Chimären (PROTACs) mit bedingter, lichtgesteuerter Präzision ergänzen.
* pm: Philipps-Universität Marburg