Die Bezahlkarte für Asylbewerber wird demnächst auch in Marburg eingeführt. Neu ankommende Asylbewerber bekommen nur noch 50 Euro in bar.
Die Restsumme erhalten sie auf einer Karte, mit der sie in bestimmten Geschäften einkaufen können. Damit soll Schleppern entgegengewirkt werden. Deren nachträgliche Bezahlung soll erschwert werden.
Aber die Bezahlkarte ist auch mit starken Einschränkungen verbunden, denn für vieles im Alltag braucht man Bargeld, Das ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand seinen eigenen Anwalt in Raten bezahlen oder sich einen Kaffee kaufen möchte. Außerdem kann man mit dieser Karte nicht überall einkaufen.
Amnesty International und die Seebrücke Marburg sehen darin eine Beschneidung von Grundrechten. Sie haben die Bezahlkarte daher kritisiert und im Frühjahr einen Offenen Brief an die Stadt und den Landkreis veröffentlicht, dem sich andere Gruppen angeschlossen habenwie der Cölber Flüchtlingskreis sowie Asylbegleitung Mittelhessen . Die Stadt hat geantwortet, dass sie die Zweifel an dem Sinn der Bezahlkarte nachvollziehen kann. Trotzdem führt der Landkreis die Karte jetzt ein. Am Mittwoch um 17 Uhr findet eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in der Barfüßerstraße 50 statt, in dem über einen Antrag der Linken gegen die Einführung der Bezahlkarte beraten wird.
Im September haben sie einen zweiten Brief geschrieben. Adressaten waren Stadträtin Kirsten Dinnebier und Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Auf diesen Brief hat die Stadt bislang nicht geantwortet.
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen „Seebrücke Marburg“, Initiative „200 nach Marburg“ und Amnesty Marburg wandten sich im Juni 2024 mit einem Offenen Brief an die politisch Verantwortlichen der Stadt Marburg und des Landkreises Marburg-Biedenkopf, um sie dazu aufzurufen, auf die Einführung einer Bezahlkarten-Pflicht für Geflüchtete zu verzichten. In dieser Maßnahme sehen sie ein erneutes Einknicken gegenüber rassistischen Strömungen bzw. Gruppierungen, die Geflüchtete als Ursache für gesellschaftliche Probleme darstellen. Ausführlich haben die Organisationen belegt, dass die Bezahlkarte keinen Einfluss auf tatsächliche Migrationsbewegungen hat, eine faktische Diskriminierung aufgrund von Herkunft darstellt und einem gelingenden Zusammenleben entgegensteht. Mehrere Flüchtlingshilfen im Landkreis, sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Marburg-Biedenkopf schlossen sich dem Offenen Brief an.
Über die Reaktionen der Angeschriebenen sind die Aktivistinnen und Aktivisten allerdings irritiert. Trotz geäußertem Verständnis für das Anliegen entschied sich der Landkreis für die sofortige Einführung der Karte. Die Vertreter*innen der Stadt Marburg, die sogar selber große Bedenken der Bezahlkarte gegenüber angeben, weichen dennoch der – daraus eigentlich folgenden – Entscheidung aus, auf die Einführung der Karte zu verzichten. Stattdessen wollen sie den Prozess zur Ausgestaltung und Einführung der Karte weiter interessiert verfolgen.
Mit dem Ziel, die Stadt Marburg doch noch zu einer klaren Positionierung gegen die Einführung der Karte zu bewegen, haben die drei Organisationen die politischen Vertreter*innen im September ein weiteres Mal angeschrieben. Das geschah auch, weil andere hessische Städte auf Marburg schauen. Darauf haben die Organisatoren aber leider keine Antwort mehr erhalten.
Die Hessische Landesregierung hat es nun sehr eilig mit der Karte. Noch im Dezember soll sie in der Erstaufnahme Gießen ausgegeben werden. Nur abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln, ist aus bürgerrechtlicher Sicht falscher Rückenwind für diese diskriminierende Maßnahme.
„Neben der Verschärfung des Asylrechts, geplanten Leistungskürzungen und nicht nachvollziehbaren Abschiebefällen erleben wir die Bezahlkarte als zusätzliches Instrument staatlicher Diskriminierung für Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen“, erklärte Annette Bruckmann von Amnesty Marburg. Für diese Menschen verstärke sich zunehmend das Gefühl, nicht willkommen und zudem Flüchtlinge 2. Klasse zu sein. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten von Anfang an Bürgergeld und Zugang zum Sozialsystem. Für sie gilt die Bezahlkarte nicht.
„Ungleichbehandlung bei der Aufnahme von Menschen auf der Flucht, auf die wir mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen schon länger aufmerksam machen, wird durch die Bezahlkarte noch verstärkt“, erläuterte Bruckmann. „Wir meinen: Marburg sollte da nicht mitmachen! Stoppt die Bezahlkarte !“
* pm: Amnesty Marburg