Ein bundesweiter Aktionstag sorgt für neue Perspektiven. Den „Schichtwechsel“ gab es auch im Marburger Rathaus.
Beim „Schichtwechsel“ im Rathaus hat Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies seinen Job für einen Vormittag getauscht – mit dem Ehepaar Anita und Markus Riehl, die bei den Reha-Werkstätten der Lebenshilfe Marburg-Biedenkopf arbeiten. Der Arbeitsplatztausch fand im Rahmen eines bundesweiten Aktionstags statt.
Als im Vorzimmer noch geschäftiges Treiben herrscht, haben sich Anita und Markus Riehl bereits im Büro des Oberbürgermeisters eingerichtet. Das Ehepaar fühlt sich sichtlich wohl in seiner neuen Rolle. Die anfallenden Termine eines Stadtoberhauptes erledigen die beiden gerne.
Noch vor wenigen Minuten haben die Riehls einen Vortrag auf der Armutskonferenz in einem Marburger Hotel gehört. Dort haben Sie auch ihren Tauschpartner Dr. Thomas Spies kennengelernt, der seinerseits nun die Arbeit des Ehepaars bei der Lebenshilfe Marburg-Biedenkopf (LHW) am Standort der Reha-Werkstätten verrichtet. Nach dieser Begegnung geht es für das Ehepaar dann aber zum neuem Arbeitsplatz im Rathaus.
Als sie dort angekommen sind, bleibt Zeit für ein paar Fotos und Erklärungen zur Arbeit des Stadtoberhaupts. Nachdem der weitere Ablauf für den Tag besprochen und die Lage im OB-Büro ruhig ist, geht es aber schon weiter zum nächsten Termin. Wenige Meter vom Rathaus entfernt trifft das Ehepaar im Oberstadtbüro auf Nadine Kümmel.
Als Quartiersmanagerin für die Oberstadt kümmert sie sich unter anderem um die Anliegen von Gewerbe, Gastronomie und Einzelhandel im ältesten Marburger Stadtteil. Kümmel will gerade los, um Stoff-Etiketten in eine nahegelegene Nähwerkstatt zu bringen. Die Riehls schließen sich an und lernen auf dem Weg verschiedene „VielRAUM“-Projekte der Stadt kennen. Dabei handelt es sich um Initiativen, die Leerstände in einigen Geschäftsräumen der Oberstadt wieder mit Leben zu füllen. In diesen Räumlichkeiten finden dann zum Beispiel Ausstellungen oder Workshops statt, erklärt Kümmel dem Ehepaar.
In der Nähwerkstatt angekommen zeigt sich, dass die Etiketten mit dem Aufdruck „Meine Oberstadt“ schon sehnlichst erwartet werden. Sie werden nun an die zugehörigen Oberstadtkissen genäht, die die Riehls sogleich begutachten. Kümmel erklärt, dass die Kissen bald auch auf den bunten Stühlen liegen werden, die bereits vor vielen Oberstadt-Geschäften stehen. Diese Stühle zeigen die Verbundenheit der Geschäftstreibenden und können von diesen im Oberstadtbüro kostenfrei abgeholt werden.
Für die Riehls geht es danach noch weiter durch die Oberstadt. Sie treffen Bekannte und berichten von ihrem „Schichtwechsel“ mit dem Oberbürgermeister. Spies ist zur selben Zeit in den Werkstätten und lernt die Abläufe kennen.
Dort gibt es vielfältige Tätigkeitsfelder zu entdecken: Das sind Arbeiten, die in den eigenen Läden im Sortiment sind und Auftragsarbeiten für Firmen aus dem Landkreis und darüber hinaus – oft sind es Vormontagen, die dann in den Betrieben weiterverarbeitet werden. Und dabei ist Genauigkeit gefragt.
An den speziellen Maschinen lernt Spies, wie ein Bauteil für ein Fenster gefertigt wird. In mehreren Arbeitsschritten geht es von Hand zu Hand und von Maschine zu Maschine. Es werden Löcher gebohrt, es wird geschliffen und immer wieder nachgemessen. Am Ende erfolgt die Qualitätskontrolle: Das Werkstück, das der temporäre Werkstattmitarbeiter Spies gefertigt hat, wird mit zu den anderen Teilen in die Kiste gereiht – und gelangt so zum Auftraggeber.
Daneben lernt Spies als Mitarbeiter bei der Lebenshilfe an diesem Tag noch viele weitere Aufgabenbereite kennen. Darunter sind das Gravieren von Metall, Glas und Äpfeln mit einer speziellen Maschine; das Fertigen von hochwertigen Anzündhölzern für den Kamin und das Vormontieren von speziellen Lampen für Wohnmobile. Aus der Werkstatt geht es dann in die Kantine. Es ist Zeit für Mittagessen.
Hier hilft Spies dem Personal in der Küche und gibt das Essen an die Beschäftigten aus. Und dann geht es direkt weiter zur Arbeit in der Wäscherei. Hier bügelt Spies Hemden – mit einer speziellen Maschine.
Bei vielen Gesprächen, Arbeitsschritten und Handgriffen bekommt das Stadtoberhaupt einen guten Einblick in die Arbeiten, die in den Reha-Werkstätten verrichtet werden. Und zum Abschluss des Arbeitseinsatzes gibt es noch einen besonderen Lohn: Ein Mitarbeiterchor lädt ihn zur Übungsstunde mit ein, Kurzerhand reiht sich Spiesein und singt gemeinsam mit den Beschäftigten „Sailing“.
Zurück im Rathaus übernimmt Spies dann wieder die Amtsgeschäfte vom Ehepaar Riehl. „Danke für diesen lehrreichen Vormittag, für wertvolle Einblicke und für das musikalische Geschenk“, bedankt Spies sich bei den Beteiligten und sagt bereits jetzt zu, gerne wieder bei der wichtigen Aktion dabei zu sein.
„Schichtwechsel“ ist eine bundesweite Aktion der Werkstätten für Menschen mit einer Behinderung. Dabei tauschen Beschäftigte aus einem Unternehmen ihren Arbeitsplatz mit Werkstattbeschäftigten. Ziel der Aktion sind neue Perspektiven zu erlangen, gegenseitiges Verständnis aufzubauen und den Inklusionsgedanken zu fördern.
* pm: Stadt Marburg