Verurteilung und Verfassungsbeschwerde: Irma Trommer geht nach Karlsruhe

Irma Trommer erhebt Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verurteilung wegen Aktionen der „Letzten Generation“. Die 28-jährige Schauspielerin aus Berlin ist Tochter der Marburger Aktivistin Jana Trommer.
Verfassungsbeschwerde erhebt die Schauspielerin und Klima-Aktivistin Irma Trommer am Donnerstag (15. August) gemeinsam mit der Kanzlei akm Rechtsanwält*innen gegen ihre Verurteilung wegen Teilnahme an zwei Straßenblockaden der Letzten Generation im Juli 2022. Das Urteil erging für beide Fälle wegen gemeinschaftlicher Nötigung in mittelbarer Täterschaft gemäß Paragraph 240 Absatz 1 und 2 sowie Paragraph 25 Absatz 1 Variante 2 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aufgrund des Festklebens an der Straße (§ 113 Abs. 1 StGB).
Am 6. Juni 2023 wurde Trommer vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu einer Geldstrafe verurteilt. Infolge der Bestätigung des Urteils im Berufungsverfahren am Landgericht Berlin und Revision vor dem Kammergericht Berlin wird nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem Fall beschäftigt werden. Der Verein „Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft“ (RAZ) hat die Vorbereitung dieser Verfassungsbeschwerde koordiniert, an der diverse Expertinnen und Experten für Verfassungsrecht und Strafrecht mitgearbeitet haben.
Die Verfassungsbeschwerde rügt die Verletzung von Grundrechten. In den vorangegangenen Entscheidungen wurde nicht hinreichend gewürdigt, dass die Blockaden im Rahmen einer nach Artikel 8 des Grundgesetzes (GG) grundrechtlich geschützten Versammlung stattfanden und die Anwendung des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) auf das Festkleben an der Straße den Tatbestand des Deliktes so ausweitet, dass damit das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot für Strafgesetze verletzt ist. Die ordentlichen Gerichte weigern sich außerdem bis dato bis in die letzten Instanzen, Grundsätze der Abwägung von Rechtsgütern im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung einer vermeintlichen Nötigung, die das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, im Rahmen gewisser Protestbewegungen und -formen anzuwenden.
Lilly Schubert vom RAZ erklärte am Mittwoch (14. August) die Beweggründe für die Verfassungsbeschwerde: „Wir haben in den letzten zwei Jahren der rechtlichen Betreuung die volle Bandbreite an rechtlicher Ahndung von Straßenblockaden der Letzten Generation erlebt: Von vereinzelten Freisprüchen, Einstellungen mit und ohne Auflagen, über unzählige Geldstrafen bis hin zu Haftstrafen auf Bewährung und zuletzt 16 Monate Haft ohne Bewährungsmöglichkeit. Zum Teil beobachten wir monatelanges Gerichte-Ping-Pong, in dem Amtsgerichtsurteile über Landgerichte vor den Oberlandesgerichten landen und wegen Verfahrensfehler zurück ans Amtsgericht gegeben werden. Für die Betroffenen ist dieses Prozedere eine Tortur und birgt große Unsicherheit bezüglich zu erwartender Konsequenzen.“
Aktuelles Beispiel für dieses Hin-und-Her ist die, ebenfalls am Donnerstag (15. August) in Karlsruhe stattfindende, mündliche Revisionsverhandlung am Oberlandesgericht. Hintergrund ist ein Freispruch für zwei Frauen im Alter von 48 und 23 Jahren wegen versuchter Nötigung vor dem Amtsgericht Freiburg, woraufhin die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegte. Es ist das zweite Verfahren dort in diesem Jahr. Bei der letzten Verhandlung im Februar 2024 verpasste das OLG es, sich zu positionieren und tatsächlich inhaltlich mit den Hintergründen der Proteste auseinanderzusetzen. Stattdessen gab es der Revision dahingehend statt, dass es auf die Unmöglichkeit einer Entscheidung aufgrund fehlender Angaben einging.
Die Rechtslage zu Straßenblockaden ist nicht eindeutig, auch wenn das immer wieder von Politikerinnen und Politikern oder in medialen Vorverurteilungen verlautet wird, die schnellere und teils härtere Verurteilungen fordern. Es bestehen grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen zur Reichweite des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Absatz 1 GG. Ungeklärt sind zudem die Auswirkungen anderer Verfassungsgrundsätze: Muss etwa die Verpflichtung der Regierung zum Schutz der Lebensgrundlagen heutiger und zukünftiger Generationen, die sich aus Artikel 20a GG in Verbindung mit den Grundrechten und dem menschenrechtlichen Anspruch auf effektiven Klimaschutz aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, von den Strafgerichten bei Klimaprotesten in der Verwerflichkeit berücksichtigt werden?
Artikel 8 des Grundgesetzes gewährt außerdem allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Anmeldung oder staatliche Erlaubnis zur öffentlichen Meinungskundgabe zu versammeln. Dabei sind auch Demonstrationen gemeint, die den Verkehr stören und als nervig empfunden werden. Grundrechtsbetätigung und offene Protesträume in Deutschland sind Wesensmerkmale unserer aktiven demokratischen Zivilgesellschaft.
„Die intensive höchstrichterliche Auseinandersetzung mit diesen – im Kontext der Klimakrise und der Protestform der Staßenblockade – ist höchste Zeit“, findet Klageführerin Trommer:
„Die Verfassungsbeschwerde muss vom Bundesverfassungsgericht zunächst zur Entscheidung angenommen werden“, erläuterte Schubert. „Wir sind optimistisch, dass im Angesicht der tausenden noch laufenden Verfahren gegen Klimaaktivist*innen und der Besorgnis über die wachsenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Europa und weltweit das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung in der Sache treffen wird.“

* pm: Rückenwind für eine aktive Zivilgesellschaft e.V., Berlin

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