Frauen frieren anders als Männer. Ein Forschungsteam hat einen geschlechtstypischen Kältesensor in der Haut entdeckt.
„Die Geschlechter frieren unterschiedlich.“ So lässt sich zusammenfassen, was eine Forschungsgruppe unter Marburger Federführung an Mäusen herausgefunden hat. Ein neu entdeckter Temperaturfühler der Haut sorgt bei männlichen Mäusen dafür, dass sie gemäßigte Kälte empfinden. Es handelt sich um das erste Beispiel für einen Temperatursensor, der bei einem Geschlecht relevanter ist als beim anderen, schrieb das Team im Wissenschaftsmagazin „PNAS“.
Wenn Menschen Kälte oder Wärme spüren, sind Nervenendigungen in der Haut aktiv. Das Temperaturempfinden beruht auf Ionenkanälen in den Zellen, die auf eine Änderung der Temperatur mit einem veränderten Ionenstrom reagieren. „Wir kennen den von uns identifizierten Temperatursensor KCNQ1 bereits als Ionenkanal aus dem Herzen“, erklärte der Marburger Physiologe Prof. Dr. Niels Decher. Er ist einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. „Genetische Varianten dieses Ionenkanals sind an der Entstehung von Herzrhythmusstörungen beteiligt.“
Um die Wirkung des Ionenkanals zu testen, schaltete das Team ihn bei Mäusen aus. Diese Maßnahme zeigigte ein bemerkenswertes Ergebnis, wie Dechers Mitarbeiter Dr. Aytug K. Kiper berichtete. Er ist der Erstautor des Fachaufsatzes.
„Wenn wir KCNQ1 stilllegen, zeigen nur männliche Mäuse erhebliche Defizite bei der Vermeidung mäßig kalter Temperaturen“, berichtete er . Während diese Männchen im Kalten bleiben, entfernen sich die Weibchen.
Geschlechtsabhängige Unterschiede in der Wärmeempfindlichkeit bei Menschen und Mäusen sind gut dokumentiert. KCNQ1 ist jedoch das erste Gen, von dem berichtet wird, dass es eine Rolle beim geschlechtsspezifischen Temperaturempfinden spielt. Decher gab auch eine Erklärung für diesen Geschlechtsunterschied: „Dieser Ionenkanal wird durch das männliche Hormon Testosteron angeregt, durch das weibliche Gegenstück Östrogen gehemmt.“
Ob die Ergebnisse auch eine Konsequenz für den Menschen haben, müssen weitere Untersuchungen erweisen. „Es gibt Berichte über Männer mit Herzrhythmusstörungen, die an Herztod sterben, wenn sie in kaltem Wasser schwimmen“, gab der Physiologe zu bedenken. „Vielleicht verfügen die Betroffenen über eine abweichende Temperaturwahrnehmung, die indirekt zu diesem Phänomen beiträgt?“
Decher leitet die Arbeitsgruppe „Vegetative Physiologie“ am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Marburger Instituts für Anatomie und Zellbiologie sowie der Universitäten Erlangen-Nürnberg, Bochum, Tübingen, Münster und Heidelberg an der Studie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Studienstiftung des Deutschen Volkes haben die Forschungsarbeit finanziell gefördert.
* pm: Philipps-Universität Marburg