Das Zusammenspiel von Entzündung und Krebsentwicklung hat ein fachübergreifendes Team aufgeklärt. Ein gestörtes Gleichgewicht hemmt Leukämie.
Entzündungen können die Krebsausbreitung fördern, eine überschießende Entzündungsreaktion kann aber auch zum Zelltod von Tumorzellen führen. Welcher Mechanismus hinter diesem Balanceakt steht, beschreibt eine Marburger Forschungsgruppe im Fachblatt „Nucleic Acids Research“ anhand einer akuten Leukämie.
Akute Leukämien gehören zu den aggressivsten Tumorerkrankungen, die man beim Menschen kennt. Bei etwa 80 Prozent aller akuten Leukämien von Erwachsenen handelt es sich um akute myeloische Leukämie (AML). Darunter versteht man eine Krebserkrankung des blutbildenden Systems, die mit einer ungehemmten Vermehrung unreifer Zellen im Knochenmark und im Blut einhergeht.
„Entzündungen spielen eine entscheidende Rolle beim Fortschreiten der AML, aber eine übermäßige Aktivierung zelleigener Entzündungswege kann auch den Zelltod von Krebszellen auslösen“, erklärte der Marburger Biochemiker Dr. Robert Liefke vom Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung der Philipps-Universität. Er ist der Leitautor des Fachaufsatzes.
Wenn Leukämie nicht behandelt wird, verläuft sie oft innerhalb weniger Wochen tödlich; daher ist eine genaue Kenntnis der molekularen Ursachen erforderlich, um Ansatzpunkte für Therapien zu finden. Wie das präzise Gleichgewicht zwischen aktivierenden und hemmenden Mechanismen bei AML zustande kommt, steht seit einiger Zeit im Fokus der medizinischen Forschung.
Die fachübergreifende Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Krebsforschung, molekularer Zellbiologie und Biochemie gehört zu den Stärken der Marburger Naturwissenschaften und Medizin. Diesen Vorteil machte sich Liefke zunutze, indem er Fachleute aus dem Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung, aus dem Marburger Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Immunologie, dem Zentrum für Tumorbiologie und Immunologie sowie dem Institut für molekulare Onkologie zusammenbrachte.
Viele zelluläre Abläufe beruhen darauf, dass mehrere Proteine zusammenarbeiten. Auch die Entstehung von Krebs hängt von solchen Wechselwirkungen ab. Das Marburger Team nahm sich das entzündungsrelevante Protein „IRF2BP2“ vor, von dem man weiß, dass es an AML beteiligt ist.
Die Forschungsgruppe experimentierte mit Leukämiezellen in Zellkultur, bei denen sie nach Wechselwirkungen des Proteins mit anderen Molekülen suchte. Wie das Team herausfand, interagiert IRF2BP2 mit zwei weiteren Proteinen, die als Paar vorliegen. Das sind „ATF7“ und „JDP2“. Dieses Proteinpaar trägt dazu bei, Gene in AML-Zellen anzuschalten, die Entzündungen hervorrufen.
Welche Funktion übernimmt IRF2BP2 beim Zusammenspiel von Entzündung und Krebsentwicklung? Um diese Frage zu klären, legte das Team das Protein in AML-Zellen still. „Der Verlust von IRF2BP2 führt dazu, dass Gene überaktiviert werden, die Entzündungen fördern – und bewirkt dadurch, dass die Entwicklung der Krebszellen stark gehemmt wird“, berichtete Liefke von den Ergebnissen der Experimente.
„Ein präzises Gleichgewicht zwischen Aktivierung und Hemmung entzündlicher Prozesse schafft eine krebsfördernde Umgebung“, fasste der Biochemiker zusammen. „Daher bietet IRF2BP2 in der Verbindung mit ATF7/JDP2 einen therapeutischen Angriffspunkt bei akuter myeloischer Leukämie.“
Die Lebens- und Naturwissenschaften gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Philipps-Universität. Der Biochemiker Dr. Robert Liefke leitet eine Nachwuchsgruppe am Marburger Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung. Neben weiteren Forscherinnen und Forschern der Marburger Hochschulmedizin beteiligte sich Dr. Ignasi Forné vom Biomedizinischen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München an der Veröffentlichung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Deutsche José-Carreras-Leukämie-Stiftung, die Fritz-Thyssen-Stiftung und der Open-Access-Publikationsfonds der Philipps-Universität unterstützten die Veröffentlichung finanziell.
* pm: Philipps-Universität Marburg