„EnRich“ heißt ein Zukunftskonzept der Philipps-Universität. Es erhält eine Projektförderung für die systematische Berücksichtigung von Geschlechterdimensionen in der Forschung.
Zunehmend stellt sich heraus, dass geschlechterrelevante Aspekte für objektive und zuverlässige Ergebnisse von wissenschaftlicher Forschung von großer Bedeutung sind. Mit dem Projekt „EnRich“ will die Philipps-Universität Wissenschaftler*innen dabei unterstützen, Geschlechterdimensionen noch systematischer in Forschungskonzepte zu integrieren. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt für fünf Jahre mit rund 800.000 Euro.
Mit dem Vorhaben will die Universität Unterstützung für Forschende bereitstellen, damit sie ihre Fragestellungen, Daten und Erkenntnisse auf die Relevanz und Auswirkung von Geschlechteraspekten überprüfen können. Im ersten Schritt geht es dabei um medizinische Forschungsvorhaben. Langfristig sollen Forschende in allen Fachbereichen und in allen Phasen – von der anfänglichen Projektidee über die Antragstellung bis zur Ergebnispräsentation – für diversitäts- und geschlechtersensible Zugänge sensibilisiert werden.
„Wissenschaftliche Forschung bringt neue Erkenntnisse hervor, die mitunter auch von der persönlichen Biografie und Herkunft der Forschenden und den damit verbundenen Perspektiven abhängen“, betonte Prof. Dr. Sabine Pankuweit. „Je breiter der Blickwinkel ist, desto höher kann der Erkenntnisgewinn sein.“ Die Vizepräsidentin für Chancengleichheit der Philipps-Universität leitet das Projekt zusammen mit Prof. Dr. Carola Seifart und Dr. Irene Portig von der Arbeitsgruppe „Ethik in der Medizin“ des Fachbereichs Medizin, Dr. Carmen Schade-Brittinger vom Koordinierungszentrum für klinische Studien sowie Prof. Dr. Ursula Birsl und Dr. Inga Nüthen vom Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung.
Verschiedene Beispiele aus der Forschung offenbaren Wissenslücken, die entstehen, wenn Diversitätsmerkmale vernachlässigt werden. So kann das zu Ungleichheiten in den Behandlungsverläufen und -ergebnissen für bestimmte Gruppen führen. Bei europäischen Frauen und Männern zeigen sich zum Beispiel bei der koronaren Herzerkrankung erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Altersverteilung, Prävention, klinische Manifestation, das Ansprechen auf Medikamente und das Outcome.
Männer haben ein doppelt so hohes Risiko, an Morbus Parkinson zu erkranken; Frauen haben allerdings die höhere Sterblichkeitsrate und die Krankheit schreitet schneller fort. Die in den letzten Jahren gewonnenen empirischen Ergebnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden Beispielsweise in der Prävalenz, Wahrnehmung und Ausprägung epidemiologisch bedeutsamer Erkrankungen, zur Arzneimittelwirksamkeit oder dem Gesundheitsverhalten müssen daher systematisch in die Forschung integriert werden. „Wenn Fragestellungen, Methoden und Analyseverfahren in möglichst vielen Bereichen einer diversitätssensiblen Betrachtung unterzogen werden, profitiert exzellente Forschung von dieser strukturellen Verankerung von Diversitätsaspekten und bringt Innovation für unsere gesamte, vielfältige Gesellschaft hervor“, betonte Pankuweit.
Der Fachbereich Medizin wurde als Modell für die Pilotphase ausgewählt. Die Ethikkommission spielt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung: Hier soll geschlechter- und diversitätssensible Forschungsplanung und Antragstellung sowie fachliche Beratungsqualität strukturell verankert werden. Zu den Aufgaben der Ethikkommission gehört es, eine hohe Qualität und wissenschaftliche Aussagekraft der medizinischen Forschung am Menschen zu gewährleisten. Zudem beurteilt sie ethische, medizinisch-wissenschaftliche und rechtliche Aspekte in der medizinischen Forschung.
Für die Vorbereitung von Forschungsanträgen erhalten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Toolkit, das für die bedarfsorientierte Berücksichtigung von Geschlechteraspekten sensibilisiert. Langfristig werden die Mitarbeitenden der Ethikkommission speziell für die Peer-Beratungstätigkeit geschult. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen, sollen die Forschungsprojekte, die der Ethik-Kommission vorgelegt werden, regelmäßig anhand eines selbst entwickelten Scoring-Systems bewertet werden. Maßgeblich ist dabei die Frage, inwiefern sich die Berücksichtigung gender- und diversitätssensibler Aspekte erhöht hat, insbesondere, ob Aspekte zu anatomischen oder sozialen Geschlechtern in Theoriebildung, Forschungsfrage, Methodik, statistischer Auswertung und Studiendesign berücksichtigt wurden.
Diese (Er)-kenntnisse werden in die Aktivitäten der Graduierteneinrichtung „University Research Academy“ (MARA) integriert, durch Workshops in der Universität sichtbar gemacht und in weitere bestehende Ethikkommissionen implementiert. So soll universitätsweit die Expertise zur Integration geschlechterrelevanter Aspekte in die Forschung ausgebaut werden. Geeignete Kommunikations- und Transferformate tragen diese Erkenntnisfortschritte in die Öffentlichkeit. So soll es gelingen, Kenntnisse und Expertisen zu Diversitätsaspekten im Forschungsprozess zu stärken und auszubauen sowie nachhaltig in die Qualifizierung von Promovierenden und Post-Docs zu übertragen. Durch einen externen Beirat werden (inter-) nationale, universitätsinterne und zivilgesellschaftliche Kenntnisse und Praktiken einbezogen.
* pm: Philipps-Universität Marburg