„Man soll „nicht auf andere warten, sondern selbst etwas bewegen“. Das forderte die 4. Vernetzungskonferenz zum Thema „Antimuslimischer Rassismus“.
Was wirkt gegen antimuslimischen Rassismus? Wie äußert sich Queerfeindlichkeit im Alltag? Welche Formen von Rassismus treten im Gesundheitssystem auf? Was können Eltern tun, deren Kinder Diskriminierung erfahren?
Diesen und weiteren Fragen hat sich die 4. Vernetzungskonferenz „TACHELES!“ gewidmet. „Es ist dringender denn je: unser Handlungskonzept gegen Rassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit sowie der Austausch untereinander – für Dialog und Vielfalt“, sagte Stadträtin Kirsten Dinnebier im Namen des Magistrats zur Eröffnung der 4. Vernetzungskonferenz „TACHELES!§“. Sie erinnerte daran, dass Magistrat und Stadtverordnetenversammlung (StVV) im Januar 2020 das Handlungskonzept verabschiedet hatten, mit dem Maßnahmen in den vier Aktionsfeldern Antidiskriminierung, Dialog und Beteiligung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit sowie lokale Forschung umgesetzt werden.
Bereits seit 2019 richtet die Stabsstelle Bürgerbeteiligung der Universitätsstadt Marburg die Vernetzungskonferenz „TACHELES! Marburg, lass uns reden“ aus. Das Format widmet sich dabei regelmäßig relevanten Fragen entlang der Themenkomplexe Antirassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit. Dafür werden interessierte Menschen aus Marburg mit Expert*innen zusammengebracht, um Impulse für die künftige Arbeit in diesen Themenfeldern zu sammeln.
Der Fokus lag diesmal auf dem Themenkomplex „Antimuslimischer Rassismus“. In diesem Zusammenhang stellte Prof. Dr. Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum die zentralen Ergebnisse des kürzlich erschienenen Berichts zur Muslimfeindlichkeit in Deutschland vor. Fereidooni war einer der zwölf – vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat – –
berufenen, Personen für den Unabhängigen Expert*innenkreis Muslimfeindlichkeit, der den Bericht „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ vorlegte.
„Es gibt keine menschlichen Rassen, sondern nur eine Rassifizierung von Menschen anhand tatsächlicher oder zugeschriebener Eigenschaften“, erläuterte Fereidooni. „Rassismus nutze als Ideologie, Struktur oder Prozess tatsächliche oder zugeschriebene biologische oder kulturelle Eigenschaften bestimmter Gruppierungen, um diese als „wesensmäßig andersgeartet“ oder „minderwertig“ darzustellen.“
Anhand verschiedener Studien zeigte Fereidooni auf, dass Muslimfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Dabei sei die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person antimuslimischen Rassismus vertritt, umso höher je älter die Person sei. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt, am Arbeitsplatz und in Schulen spiele antimuslimischer Rassismus eine Rolle.
Fereidooni zeigte anhand von Beispielen Vorurteilsmuster in öffentlichen Debatten wie „Ehrenmorde“, Moscheenbau und politischen Islamismus. Er stellte eine Betroffenenstudie vor und Untersuchungen zu Schulbüchern und Lehrplänen. „Das war ein prägnanter und aufrüttelnder Vortrag“, schloss Griet Newiger-Addy von der städtischen Stabsstelle Bürgerbeteiligung und übernahm die Überleitung zu Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum.
So ging es beispielsweise darum, welchen Einfluss Menschen in Macht-Positionen auf die Ausweitung oder auch Zurückdrängung von Muslimfeindlichkeit haben. Fereidooni machte in diesem Zusammenhang deutlich: „Alle Personen besitzen die Macht, in ihrem persönlichen Raum etwas gegen Antimuslimischen Rassismus zu tun – wenn man etwas bewegen will, kann man es.“
Eine Person im Plenum fragte: „Werden wir je frei von Rassismus sein?“ Zunächst sei es wichtig, sich überhaupt auf den Weg zu machen, antwortete der Experte und ergänzte: „Es ist ein lebenslanger Prozess.“
Niemand sei frei von bestimmten Vorurteilen. Doch alle seien in der Lage, Solidarität mit von Rassismus betroffenen Gruppen zu zeigen. „Nicht darauf warten, dass andere etwas tun, sondern im eigenen Umfeld etwas bewegen, indem Sie miteinander reden“, riet Fereidooni.
Im Anschluss hatten die Teilnehmenden die Wahlmöglichkeiten zwischen vier Arbeitsgruppen, in denen sie über die Themen Antimuslimischer Rassismus, Queerfeindlichkeit sowie Rassismus und Gesundheit diskutierten. Darüber hinaus gab es für Eltern von Kindern mit Diskriminierungserfahrung einen Austauschraum. Expert*innen aus den jeweiligen Bereichen führten in die Themen ein und gaben Impulse zur Diskussion.
Die Arbeitsgruppe zu antimuslimischem Rassismus leiteten Alioune Niang von ufuq e. V. aus Berlin und Shérif Korodowou vom Impuls-Institut in Marburg. Für das Thema Rassismus und Gesundheit war Prof. Dr. Regina Brunnett von der Hochschule Fulda zuständig. Die Arbeitsgruppe zu Queerfeindlichkeit wurde vom Queeren Zentrum in Marburg gestaltet und den Austausch für Eltern von diskriminierten Kindern moderierte Dr. Nkechi Madubuko. Ziel der Arbeitsgruppen war es, gemeinsam einen Fahrplan für die zukünftige Bearbeitung der Themenkomplexe in Marburg zu erarbeiten.
Als Ausklang der Veranstaltung gab es eine Aufführung des Theaterprojekts „WEGE““ der Werkstatt für Demokratieförderung zu sehen, bei der Geschichten von fünf Frauen aus Syrien, dem Irak, der Türkei, Tschetschenien und der Ukraine erzählt wurden, die nun in Marburg leben und kurze Einblicke in ihre Vergangenheit gewährten. Sie sprachen über das „Hier und Jetzt“ und wagten den Blick in eine bessere Zukunft.
* pm: Stadt Marburg