Auf 100 Jahre Sprechwissenschaft kann die Philipps-Universität im Oktober 2023 zurückblicken. Aus diesem Anlass findet am Donnerstag (5. Oktober) in Marburg die Fachtagung „Klären, streiten, argumentieren“ statt.
Die mündliche Kommunikation und ihre rhetorische Wirkung steht im Mittelpunkt des Studiengangs „Sprechwissenschaft“ an der Philipps-Universität, der im Oktober 2023 sein 100-jähriges Bestehen feiert. Bei der Fach-Tagung „Klären, Streiten, Argumentieren“ stehen aktuelle Perspektiven der Argumentationsforschung zur Debatte. Der öffentliche Festvortrag zum Jubiläum findet am Donnerstag (5. Oktober) von 19.30 bis 21 Uhr) in der Aula der Alten Universität statt.
Prof. Dr. Manfred Kienpointner von der Universität Innsbruck spricht unter dem Titel „Topoi der Freiheit. Argumentative Muster in Freiheitsdiskursen“ über eines der meistdiskutierten Konzepte des menschlichen Denkens. Wie unterschiedlich das Konzept der Freiheit verstanden und argumentativ genutzt wird, zeigt der renommierte Argumentationsforscher in seinem Festvortrag auf. Dabei erläutert er die diskursive Umsetzung unterschiedlicher Freiheitskonzepte in Reden von der Antike bis zur Gegenwart.
„Sprechen ist die Basis für Teilhabe und gesellschaftliche Interaktion; das 100 Jahre alte Fach ist deshalb so zukunftsgewandt wie die Wissenschaft und Gesellschaft selbst“, betonte Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss zum Jubiläum. „Wir sind stolz darauf, dass Marburg einer von zwei Universitätsstandorten in Deutschland ist, der zur Forschung und Lehre in diesem Fach beiträgt.“
Die „Arbeitsgruppe Sprechwissenschaft“ am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität entwickelte sich aus dem „Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde“, dessen Anfänge bis ins Jahr 1920 zurückreichen. Die Schwerpunkte sind Rhetorik, Sprechkunst, Argumentations- und Gesprächsforschung. Das Fach nimmt damit einen zentralen Aspekt des öffentlichen und privaten Lebens in den Blick. Dabei geht es um das „Miteinander-Sprechen“.
Dabei geht es heute nicht mehr um die Schulung der Aussprache, vielmehr liegt der Fokus auf Verständigungsprozessen im Gespräch. Diese fachliche Ausrichtung bietet in alle gesellschaftlichen Bereich Anknüpfungspunkte.
„Sprechen scheint uns selbstverständlich; Verständigung im Miteinander-Sprechen ist es nicht“, erklärte Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes. „Unser Fach nimmt dies in Forschung, Lehre und Praxis in den Blick.“
Seit 2013 ist sie Professorin für Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität. Sie fasst das Fach unter die Begriffe „Mündlichkeit“ und „Stimmlichkeit“.
Sprechwissenschaftler*innen in Marburg erforschen zum Beispiel, wie Beratungsgespräche in der Geburtshilfe verlaufen, was gutes Feedback auszeichnet oder wie Kindergartenkinder Gründe für ihr Handeln benennen und damit schon früh grundsätzliche Fähigkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln. Formate für Wissenschaftskommunikation wie der „Marburger Gesprächsgarten“ zeigen, welchen gesellschaftlichen Beitrag das Fach leisten kann.
Mit dem Masterstudiengang „Sprechwissenschaft und Phonetik“ werden die Studierenden Expertinnen und Experten für mündliche Rhetorik und Stimme. Neben dem forschenden Blick auf mündliche Rhetorik profitieren sie auch von der praxisnahen Vermittlung und Lehrtätigkeit. Das Fach hat derzeit rund 20 Studierende, die von der speziellen räumlichen Ausstattung profitieren.
dem Seminarraum für Stimm- und Sprechtraining oder der Sprechkabine der Sprechwissenschaft für die Aufnahme von Podcasts. Schon die Studierenden sind mit ihrem Know-How gefragt: Sie vermitteln Schülerinnen und Schülern rhetorische Basiskompetenzen oder unterstützen als Sprechwissenschaftler*innen die Aussprachedatenbank der ARD, die Radio- und Fernsehjournalist*innen die richtige Betonung und Aussprache von Eigennamen und fremdsprachigen Begriffen zur Verfügung stellt.
Absolventinnen und Absolventen führt ihr Karriereweg häufig in die Unternehmenskommunikation und ins Personalmanagement, in (Fort-)Bildungseinrichtungen, Moderationstätigkeiten, sie werden selbständige Kommunikationstrainer*innen, arbeiten an Schauspielschulen oder gehen in die Forschung.
Mit einem Lehrauftrag für Fritz Budde nahm alles seinen Anfang: im Wintersemester 1920 erhielt er einen Lehrauftrag als „Lektor für Vortragskunst“, woraus 1923 eine planmäßige Stelle wurde. In den 30er Jahren folgte die Umbenennung der Stelle in „Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde“. Elisabeth Behagel übernahm 1945 die Lehrtätigkeit zu rhetorischen und sprechkünstlerischen Themen.
Ihr folgte Christian Winkler, der 1950 das Lektorat übernahm und zum Beispiel zur Intonation des Deutschen arbeitete. Sein Nachfolger Lothar Berger setzte ab 1969 neue Schwerpunkte und holte erstmals die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung (DGSS) nach Marburg. 1972 wurde das Lektorat in „Abteilung für Sprechwissenschaft“ des Fachbereichs Allgemeine und Germanistische Linguistik und Philologie umbenannt.
Christa Heilmann übernahm die Leitung der „Abteilung Sprechwissenschaft“ 1990 und setzte Schwerpunkte in der Lehrkräftebildung und Gesprächsforschung. Seit 2013 vertritt Kati Hannken-Illjes als Professorin das Fach – im gleichen Jahr wurde die Abteilung in „Arbeitsgruppe Sprechwissenschaft“ umbenannt. Seit ihrer Wahl zur Vizepräsidentin für Bildung 2022 vertritt Cordula Schwarze die Professur.
* pm: Philipps-Universität Marburg