Die Umfrageergebnisse der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) erreichen neue Höchstwerte. Im beschaulichen Marburg mag man das kaum für möglich halten.
Coch auch in der mittelhessischen Universitätsstadt gab und gibt es knallharte Rechte. Zu finden sind sie oft in sogenannten „schlagenden Verbindungen“, deren Häuser in der Vergangenheit oft Raum boten für Veranstaltungen mit Propagandisten wie dem verurteilten Rechts-Anwalt Horst Mahler und dem Verleger Philip Stein. Stein hat in Marburg studiert und war Mitglied der Burschenschaft „Germania“
Gefährlicher als solche Strategen der Neuen Rechten sind jedoch Leute, die sich unter dem Mäntelchen harmloser Bürgerlichkeit an die Bevölkerung ranwanzen. Das sind Corona-Leugner ebenso wie angebliche „Friedensfreunde“, die den Angriff des russischen Diktators Vladimir Putin auf die Ukraine verharmlosen. Derzeit versuchen diese Kräfte, in Marburg eine „Querfront“ zwischen linken und rechten „Friedensfreunden“ aufzubauen.
Nicht ungefährlich sind jedoch auch Politikerinnen und Politiker der bürgerlichen Parteien, die aus Furcht vor dem Erstarken der AfD rechtspopulistische Parolen plappern. Zu ihnen zählt leider auch die hessische SPD-Spitzendkandidatin Nancy Faeser. Mit ihrem Angriff auf das Grundrecht auf Asyl und dem Vorschlag von Abschiebeknästen an den europäischen grenzen macht sie letztlich Wahlkampf für die AfD, indem sie deren rassistische Vorstellungen durch zustimmende Übernahme regelrecht „adelt“.
Dieses Verhalten ist nicht nur ein Schlag in die Magengrube geschichtsbewusster Demokratinnen und Demokraten, sondern zugleich auch kontraproduktiv für alle Bemühungen um eine Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Wer kann angesichts derartiger Hetze gegen Geflüchtete ernsthaft erwarten, dass qualifizierte Fachkräfte freiwillig in das Land gehen, das Menschen nichteuropäischer Herkunft an den Grenzen selektiert werden wie dereinst an der Rampe in Auschwitz? Wenngleich dieser Vergleich auch furchtbar hinkt, verweist er doch zugleich auf die Notwendigkeit eines sensibleren Umgangs mit rassistischer Ideologie.
Noch geschichtsvergessener war jedoch die Forderung des Unions-Fraktionsgeschäftsführers Thorsten Frei nach einer Abschaffung des Individualrechts auf Asyl. Abgesehen davon, dass der Artikel 16a des Grundgesetzes nicht abänderbar ist, besteht sein Wesensgehalt auch aus einer völkerrechtlichen Antwort auf den Holocaust. Wer das Asylrecht in seinem Wesensgehalt in Frage stellt, der bewegt sich damit unerträglich nahe am Rande der Holocaustleugnung.
Wer „Obergrenzen für Asylanten“ befürwortet, der hat offenbar nicht verstanden, dass angesichts von sechs Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden während der Nazi-Zeit jede „Obergrenze“ den sicheren Tod für die Abgewiesenen bedeutet hätte. Wer Abschiebungen als „Rückführungen'“ verharmlost, der handelt entweder zynisch oder ignorant gegenüber den völkerrechtlich verankerten Verpflichtungen zu Humanität und Grundrechtsschutz. Wichtig ist deswegen, dass die Stadt Marburg ihre bisherige Haltung zur Einhaltung der Menschenrechte ohne Wenn und Aber beibehält und verteidigt.
* Franz-Josef Hanke